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Wenneine eine Wohnungsucht

■ die auch Ihnen bekannt vorkommen dürfte Von Cornelia Gerlach Über Träume und Rattenlöcher, Erkenntnisse und ein Dach überm Kopf: Eine Reportage,

Vielleicht ist es zu früh. Vielleicht sollte ich mit dieser Geschichte warten, bis ich den Mietvertrag in der Hand habe. Denn sie ist fast zu schön, um wahr zu sein. Wenn nichts mehr dazwischen kommt, dann habe ich eine Wohnung, die meinen Wünschen entspricht und mein Budget nicht sprengt. Mit Ofenheizung zwar und manchen anderen Tücken, aber im Herzen der Metropole, elf Schnellbusminuten vom Bahnhof Altona entfernt und in Fußgehdistanz von den Freunden.

Vielleicht sollte ich ganz schweigen, denn Neid ist ein Ungeheuer. Monate haben andere gebraucht, sogar Jahre. „Unmöglich“, haben sie prophezeit und mir geraten, den Ortswechsel zu vertagen auf unabsehbare Zeit. Aus Angst vor einem Klotz am Bein - einer ewig suchenden Besucherin - verweigerten gute Freunde die Hilfe. Die Paranoia vor der Wohnungsnot sitzt tief: Wer eine Bleibe hat, verteidigt sie um jeden Preis und rührt sich nicht vom Fleck. Wer aber keine hat, der gilt als gefährlich und wird ausgegrenzt. Der Funke springt über: So manche verlieren schon den Mut, bevor sie mit der Suche begonnen haben. Und verpassen unter Umständen nicht nur wertvolle Chancen, sondern auch noch ein lustiges Abenteuer.

Von vorne. Es war an einem Montag morgen um acht Uhr früh, als ich aufwachte mit dem festen Vorsatz: Es muß gelingen. Beim Frühstück machte ich einen Plan: Alles probieren, und zwar schnell. Wo anfangen? Bei der Zeitung. „Geh früh um vier zur Druckerei und hol dir die frischen Anzeigen“, hatten Freunde geraten, und ich erinnerte mich an frühere Suchaktionen und den erbitterten Kampf um die Telefonzellen in Nähe des Verlags, an ruhestörende Anrufe bei schlafenden Vermietern. Aber es war Montag, nicht Sonnabend, und die Wohnungsinserate waren schon Altpapier. Doch, welch Überraschung: Von den sechs Wohnungen geeigneter Größe und geeigneten Preises waren immerhin drei noch nicht vergeben.

Daraus ergab sich Erkenntnis Nummer eins: Nicht alle Makler arbeiten am Wochenende. Erkenntnis Nummer zwei: Probieren lohnt sich allemal. Erkenntnis Nummer drei: Vieles, was angeboten wird, ist eine Frechheit. „Von 60, die anrufen, kommen nur 20 zur Besichtigung“, hatte mir der Makler einer solchen am Telefon Mut gemacht, „und letztlich bleiben dann doch nur zwei, drei übrig, die sie wirklich wollen.“ Fröhlich ließ ich mir die Adresse geben und zog gleich los, das Haus von außen anzusehen. Die Ernüchterung war hart: Ich fand nur ein winziges Dreckloch im finstersten Viertel der Stadt. Dafür mehr als 900 Mark bezahlen? Zur Besichtigung ging auch ich nicht mehr.

Der nächste Weg führte zur Mitwohnzentrale. Seit Wohnungen knapp und teuer sind, hat Untervermieten wieder Konjunktur. Ein freies Zimmer kann in billigen Altbauten locker die Hälfte der Gesamtmiete einbringen. Allerdings haben die Mitwohnzentralen recht unterschiedliche Kriterien dafür, wem sie was und für wie lange vermitteln - ob auch als Dauerwohnsitz oder nur auf Zeit, ob auch an Einheimische oder nur für Fremde. Mit drei Adressen in der Tasche zog ich ab.

Die erste Adresse war die eines Traums: Inmitten der Stadt eine riesige Fabriketage, etliche hundert renovierte Quadratmeter, beheizt, hell - einfach genial. Dazu ein Prinz - ein dunkel gelockter Musiker, der Herzen bricht - und ein erfolgreicher Künstler als Mitbewohner. Platz zum Tanzen, Platz zum Malen, Platz zum Arbeiten und Musikhören: da wurden Wünsche wahr. Doch plötzlich fühlte ich mich ganz klein: weder der Miete noch der Umgebung gewachsen. Oder doch? Nach einer Nacht mit dem Taschenrechner sagte ich traurigen Herzens dem Anrufbeantworter ab. Nächstes Jahr, vielleicht.

Die zweite Adresse war ein Alptraum: Ein hagerer Miesepeter öffnete die Tür zu einer Wohnung, die schlichtweg stank. Nikotin hatte sich wie ein gelber Film auf Wände und Fenster, Schränke und Stoffe gelegt. Opernmusik füllte den Raum und machte es schwer zu reden. Der Typ, häßliches Überbleibsel mehrerer Wohngemeinschaften, deren Mitglieder inzwischen alle geheiratet hatten, musterte mich. Auf dem einzigen Stuhl saß bereits eine Konkurrentin, die mit zuckersüßem Augenaufschlag beteuerte, wie hübsch das Zimmer sei, wie gerne sie es hätte, und am liebsten sofort, um jeden Preis. Um jeden? Der Typ zog uns mit Blicken aus. Ich rauchte die Zigarette nicht zu Ende und beschloß, meinen Fuß nie wieder in diese Rattenhöhle zu setzen.

Vom Inhaber der dritten Adresse habe ich noch nichts wieder gehört. Die vierte, fünfte, sechste Adresse, in den nächsten Tagen abgeholt und abgelaufen, gefielen mir schon von außen nicht. Auch den Vegetarier, der kein Fleisch im Kühlschrank sehen mochte und Autos haßt, ließ ich sitzen. Irgendwo muß man sich treu bleiben. Und die achte Chance? Da gehe ich heute abend noch hin, einfach aus Neugier. Das ist eine Wohngemeinschaft mit fröhlichen Stimmen am Telefon. Mit Lollies im Postkasten habe ich versucht, mir ihre Gunst zu erkaufen. Aber da kannte ich Gaby noch nicht.

Wohnung suchen ist wie Lotto spielen, heißt es. Und wie beim Lotto gibt es zwei Sorten von Menschen: Die einen setzen alles auf eine Karte, die anderen haben viele Eisen im Feuer. Ich hielt es mit der Wahrscheinlichkeit und startete einen Rundruf bei Maklern. Das Ergebnis war nicht schlecht: Die Aktion bescherte mir zum Beispiel eine 66 Quadratmeter-Neubauwohnung für 1.500 Mark warm. Ich habe sie gesehen, sie war wirklich wunderhübsch. Fast wäre ich schwach geworden und hätte mir - per Mitwohnzentrale - einen Untermieter gesucht. Der Makler lauerte schon mit dem Vorvertrag. Aber eine Mutter mit Sohn stand daneben und wollte sie soooo gerne haben. Weitere Angebote wie 850 Mark für 34 unbeheizte Quadratmeter oder tausend Mark kalt für ein Ein-Zimmer-Appartement am Ende der Welt schienen mir ungeeignet. Ein Makler bat um schriftliche Bewerbung, andere ermunterten zum nochmaligen Versuch zu späterer Zeit. Alle hinterließen das Gefühl, die Lage sei ernst, aber nicht hoffnungslos.

Anders die Wohnungsgenossenschaften und -vereine. Die halten dicht und lassen niemanden mehr herein. Die größeren haben weit über tausend wartende Mitglieder, fast alle haben einen Aufnahmestopp verhängt. „Probieren Sie es in sechs bis acht Jahren mal wieder“ empfahl eine Mitarbeiterin am Telefon. Nur über Vetternwirtschaft ist manchmal was zu machen: Wer Oma oder Tante hat, die Mitglied sind, darf bei einigen Genossen auf die Liste. Doch diese Gunst verkürzt das Warten nur, hebt es nicht auf.

Das Problem beschrieben alle gleich: „Es wird kaum etwas gekündigt im Moment.“ Aus den rund 2.000 Wohnungen des Hamburger Wohnungsunternehmens Theo Urbach zum Beispiel kommen im Jahr zur Zeit etwa sechs Kündigungen. Die Wartelisten sind kilometerlang - und die Leute rühren sich nicht mehr. Während die Wirtschaft mobile Arbeitnehmer fordert, diktiert der Wohnungsmarkt Seßhaftigkeit. Fast 20 Unternehmen habe ich durchtelefoniert. Nirgends Hoffnung. Ich leg den Hörer nieder und schreib mir den Frust von der Seele. Das Leben ist grausam und ach so gemein...

Da piepst das Telefon. „Hallo, hier ist Gaby. Du hattest am Montag bei mir angerufen. Wegen der Wohnung. Hast Du noch Interesse - ei, Moment mal“. Im Hintergrund rollt eine S-Bahn ein, einer verlangt schnell nach Zigaretten, ein anderer eine Zeitung. Die Kasse klingelt. „Da bin ich wieder. Also ich bin jetzt noch auf der Arbeit. Heute abend um zehn, geht das?“ Ich bin total verwirrt. Wer war bloß Gaby? Welche Wohnung? Welcher Preis? Egal, ich notiere die Adresse und verspreche zu kommen. Wohnung gucken ist lustiger als fernsehgucken.

Gaby verdanke ich es, daß ich ein Dach über dem Kopf und eine Geschichte zum Erzählen habe. Gaby nämlich vermietet ihre Wohnung samt Stuckdecke und Kachelofen, um sich auf die Suche nach dem großen Glück zu machen. Sie lebt den Traum von Amerika, wandert aus, um in den Flüssen Nordkaliforniens Gold zu waschen. Und ich werde in ihren Zimmern sitzen, die dann meine sind, ihr die Daumen drücken und mich freuen, daß ich mit weniger zufrieden bin: Mit einer Wohnung, die ich bezahlen kann.

Gefunden am siebten Tag.

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