piwik no script img

Wand und BodenAus dem Tiefbau dieser Welt

■ Kunst in Berlin jetzt: Hintzen, Markowitsch, Förster, Elgin

Fast scheint es, als gäbe es nur ein dunkles Loch und sehr viel Verschwinden in den Arbeiten des Münchners Matthias Hintzen. Wie wenn die Welt ein langer Tunnel wäre und einzig aus Linien bestünde, zeichnet er seit Jahren schon unendlich viele O- Bus-, U- und S-Bahnpläne nach, großformatig in der Art von städtischen Bebauungsplänen, oder auf feine Pergamentpapierblöcke – nicht größer als die Notizzettel manchmal, auf die Pascal sein Erweckungsbekenntnis geschrieben haben soll und es zum Selbstschutze dann in seinen Rocksaum einnähen ließ. Hintzes Pläne jedoch stammen nicht von hoch oben, sondern zumeist aus dem Tiefbau dieser Welt, vorrangig aber Brüssels und Berlins, wegen der „interessanten Entwicklung“, die das Verkehrswesen in diesen Städten genommen hat. Mehr als leidenschaftlich arbeitet der Zeichner an der kompletten Abbildung von Verkehrsnetzen. Daß er selbst die Fahrtenhäufigkeit des heimischen Straßenbahn- und U-Bahn-Betriebes 1989 eingezeichnet und das dann noch mit dem Fahrplan von 1972 verglichen hat, wirkt ziemlich besessen. Doch in die paranoische Handlung mischt sich bei Hintzen ein eher aufrichtiges Interesse an den Veränderungen, die sich im Alltag vollziehen, sobald sich Strukturen verändern. Bruitistisch und zugleich äußerst genau belegt er, wie sich der öffentliche Verkehr im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr vom Zentrum abgelöst hat, bis es dann teilweise wie in Bukarest unter Ceaușescu oder dem Moskauer Stadtkern fast keine Zufahrtsmöglichkeiten mehr gab. Vergleicht man Hintzens Pläne mit der allgemeinen Fußgängerzonisierung der Welt, dann stellt sich der Markierungswahn beinahe als Spätaufklärung dar – Hintzen, ein Advokat im Geiste Virilios?

Systeme der Kartographie I, bis 12.2., Mo-Fr 16-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr, Bilderdienst, Pariser Straße 51, Charlottenburg.

Dem Druck der Wahrnehmung ein wenig leichtfüßiger gegenüber eingestellt, äst auch Rémy Markowitsch an der Wahrnehmung und „registriert bereits Registriertes“: Zeitungsfotos, die als Material wieder in den Bildfindungsprozeß eingehen. Für seine siebenteilige Serie „Dr. Norden“ hat er sich die Botanik zum Thema gemacht und Primeln, Petunien, Krokusse und Rosen genaugenommen fotografisch durchblendet. Aus fernen Flowerpower-Zeiten winkt melancholisch die Liebe zum irgendwie transzendentalen Leuchten der Welt herüber: Wie im Frottageverfahren schimmern die bedruckten Rückseiten der Zeitungsblätter bei Markowitschs Fotografien in das vordergründige Bild hinein, erzeugen Fehlfarben und kontrastieren Rot- Töne mit Gelb- und Grün-Werten, woraus ein psychedelisches Gemischtbunt entsteht. Pop-art oder Informell: Die Wirkung des Farbchaos im Mikrobereich der einzelnen Bildpunkte beim Zeitungsdruck wird in der vergrößerten Reproduktion von Briefmarkenformat auf ein mal zwei Meter nicht bloß verstärkt, sie macht das schmuddelige eingeschwärzte Billig-Papier des Massenmediums zu einem harmonischen Bildträger. Anders als in den Arbeiten Rolf Langenbartels, die der NBK im vergangenen November gezeigt hatte, wird nicht das zufällige Gefüge des Mediums ins Komödiantische überspitzt (etwa wenn er die Koppelung von Busen und Revolver als objet trouvée aus der B.Z. im Negativverfahren abbildet), sondern als formale Abstraktion behandelt. Die weißen Ränder zwischen den Bildern, die von hinten durchleuchten, könnten in ein helleres Rot getaucht auch an Rothkosche Abgründe erinnern.

Bis 14.3., Mo-Sa 9.30-24 Uhr, So 17-24 Uhr, Bildertenne, Chausseestraße 125, Mitte.

Um mehrere Ecken wandernd, ist der Weg in die Auguststraße 91 kurz. Auf der Einladung zur Rot- Ausstellung Gunda Försters war von ungewöhnlichen Gefühlen die Rede, von der Vorstellung, daß „RAUM – FARBE – KÖRPER“ in „extreme Spannung“ versetzt würden. Im Hinterhof, rechter Seitenflügel, soll vielerlei Monochromes zu sehen sein, alles in Rot eben. Doch da ist kein Einlaß, die Tür bleibt verschlossen, ein heftiges Pochen, doch nichts regt sich. Unter der angegebenen Kontakt-Telefonnummer 441 81 73 meldet sich auch niemand. Was soll man da sagen? Vielleicht noch ein Info-Satz: „Ein nicht faßbares Verhältnis zur Farbe ROT entsteht.“

Zufällig liegt die ausgelagerte Likör-Fabrik der Kunst-Werke im selben Hinterhof. Dort zeigt Dag Erik Elgin unter dem Titel Double so eine Art nachmodernisierter Streifenbilder, die mit einer Wellenbewegung immer wieder ins Schneeweiße neigende Lichtpunkte in den Vordergrund rücken. Elgin hat insgesamt vierzehnmal die Vorstellung vom „Panorama“-Bild abstrahiert, breitflächig arrangierte Rechtecke, die ineinander verschachtelt sind. Darüber gelagert sieht man ein System aus Röhren auf grauem Grund, schwarz grundiert und mit einem weißen Passepartout versehen. Die weiße Farbe zerbricht bereits in Krakelees auf der obersten Bildoberfläche, das Grau hingegen läßt dem Untergrund keine Luft zum Atmen. Sehr geschickt zitiert Elgin nicht bloß das Bild als „Fenster“ und imaginäres Tor in eine zunehmend abstraktere Welt, sondern nutzt die klassische Moderne wie einen Spiegel, in dem sich Malerei zu sich selbst verhält. Gerhard Richter arbeitet – so in Antwerpen gesehen – an ähnlichen Fragestellungen. Harald Fricke

Bis 27.2., Mi-So 15-18 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen