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Auf los gibt's Los

■ Doch mit Mieterlos treibt man keinen Einschaltquoten-Schabernack - meint Herr K. Von Knut Sieversen

„Wohnung frei. 103.6 hören.“ Über diesen Litfaßsäulen-Spruch stolperte Herr K. auf dem innerstädtischen Hauptmann-Platz. Das war vor zwei Wochen, und er war ein bißchen sensibilisiert durch einen Obdachlosen, der am gleichen Ort zur gleichen Zeit in einer Kaufhaus-Ecke eingehüllt kauerte und offensichtlich wohnungslos war.

In der Folge nahm er die augenfällige Offerte überall im Stadtbild wahr und nahm sich, obwohl gar nicht ohne Obdach und noch weniger 103.6-Hörer, ein Herz, erkundigte sich bei dem Hamburger Sender via Hörertelefon über die Ernsthaftigkeit des Angebots. Mit ein bißchen Glück konnte er ja gegebenenfalls zu einer Zweitwohnung kommen.

Und ein Sprecher des Senders, der über den Ruinen der alten Bischofsburg am Rande der Mönckebergstraße ein hiphaphoppes Kommerz-Programm fährt, klärte Herrn K. am Hörertelefon geduldig auf: Nein, das sei kein Scherz. Die Wohnung mit 50 qm im Stadtteil Eimsbüttel stände zur Verlosung frei und werde am 7. Februar zugeteilt. Einfach bis zum 4. Februar zwischen 9 und 12 sowie 15 und 18 Uhr reinhören und aufpassen!

Herr K. aber wollte sich von so viel 103.6 nicht berieseln lassen und ließ sein Tonband mitlaufen, bis er – schon ein bißchen verärgert über das 103.6-Partypauerpeckradio – endlich fündig wurde: „Gewinnen Sie jetzt einen Mietvertrag für die Radio-Hamburg-Wohnung. Ein Jahr Miete frei und eine Einrichtung für 10.000 Mark ... In diese schöne Zweizimmer-Wohnung könnten vielleicht genau Sie demnächst schon einziehen ...“, lockten Schokoriegel-Stimmen. Alle Tagessieger kriegten einen Schlüssel, von denen – „aber, aber“ – nur einer ins Schloß der Eimsbütteler Radio-Wohnung passe. Eine Wohnungslotterie also.

Herr K., in seinen Ansichten ein wenig altmodisch, empfand die „Wohnung frei“-Kampagne ein bißchen anrüchig, denn mit dem Mieterlos sollte seiner Meinung nach kein Einschaltquoten-Schabernack getrieben werden. Und er erinnerte sich an eine Aktion der Eimsbütteler Initiative „HH 19“. Die Ini, seit vielen Jahren stadtteilbekannt ob ihrer Aktivitäten gegen Miethaie und Umwandler, hatte die Verlosung einer Wohnung angekündigt und damit auf einem örtlichen Stadtteilfest im Mai 1993 großes Publikum angezogen, 2000 Lose verdealt, um letztlich der Lotteriegewinnerin ein Puppenhaus anzubieten.

Aus der Enttäuschung der unglücklichen Gewinnerin und der Stinksäuernis einiger Lotterieteilnehmer machten interessierte Medien, allen voran die „Morgenpost“ und „Sat 1“ eine dicke Skandalnummer, kriminalisierten die Lotterie-Anstifter, die selber nicht damit gerechnet hatten, daß ihre subversive Aktion nach hinten losgeht: schändliche Brandstifter waren sie plötzlich und mit einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren konfrontiert. Eine Wohnung verlost man ehrlich oder gar nicht!

Und damit war Herr K. wieder bei „Wohnung frei. 103.6 hören“. Da wird kein Bertelsmann-Blatt aufschreien, kein Springer-Fernsehen giften. Da sitzen sie auf 103.6 anteilsmäßig in einem Boot und baggern um Einschaltquoten und Dividenden. Ehrliche Kaufleute mit ehrlichen Preisen und jede Menge Selbstanpreisung.

Und so hat Herr K. gestern um 8.45 Uhr die Bekanntgabe des Gewinners der Eimsbütteler 103.6-Wohnung einfach verschlafen, weil keiner – außer ihm – an der Wohnungsverlotterei Anstoß nimmt. Er vernahm also nicht, daß weder die Petra oder die Brigitte, sondern der Jörg Koglin mit Auto ohne Fahrrad nun für die Reklame herhalten muß. Dafür hat Herr K. sich nach dem Aufstand perspektivisch Gedanken um ein neues Spielchen gemacht, einschaltquotenfördernder Art, ein erfrischend frivoles Joint venture mit einem großen Hamburger Bestattungsunternehmen. Motto: „Beerdigung frei. 103.6 einschalten“.

Alles erster Klasse, versteht sich, und im Erlebensfalle mit Live-Übertragung von der Happy-End-Show sowie in Powerwowermemory-Mitschnitt für die glücklichen Hinterbliebenen, eye!

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