: Über den Horizont
Körperliche Attraktionen, Lesbenhochzeit, Soldaten, Krieg und eine alte Dynastie: Die besten und die schlechtesten Kurzfilme im Panorama ■ Von Anja Seeliger
Was bleibt zwei Verliebten, deren einzig gemeinsamer Nenner die gegenseitige Attraktion ist? „Scrabble and fuck, fuck and scrabble.“ Minna liebt Abba und hat einen schwulen Freund, Chet. Kaleb liebt die Scorpions, spielt Football und ist ausgesprochen homophob. Was kann daraus schon werden? Nichts. Hoang A. Duongs „Heavy blow“ (USA) ist von fast rührender Ernsthaftigkeit. Wenn Minna ihren Kaleb zum Schluß verläßt, gehen dem keine Diskussionen über die richtige Einstellung zum Leben voraus. Minna erkennt einfach die Tatsache an, daß Liebe nicht immer genügt. Und Duong erlaubt einem, über die Unvermeidlichkeit ihrer Entscheidung traurig zu sein. Einer der erstaunlich seltenen Fälle, wo sich politische Korrektheit mit Courage verbindet.
„Chicks in white satin“ (USA) von Elaine Holliman wurde vor wenigen Tagen für einen Oscar nominiert und ist ausgemacht sentimentaler Schmonzes. Es ist ein Dokumentarfilm über ein lesbisches Paar, das heiraten will. In weißen Hochzeitskleidern und dem ganzen Drum und Dran. Es wird viel geweint in diesem Film. Wie das so üblich ist, vor allem während der Trauung, die stark an die Szene in „Love Story“ erinnert, in der sich Ryan O'Neal und Ali McGraw gegenseitig die Gründe für ihre Hochzeit erklären. Zum Schluß gelingt es dem weiblichen Rabbi jedoch, die Sache zu einem glücklichen Ende zu bringen.
Zuvor hat man jedoch einiges zu ertragen. Wir hören Heidi, wie sie erklärt, daß sie Debra liebt und vice versa. Debras Mutter erklärt, daß sie ihre Tochter liebt und es ihr deshalb egal ist, daß diese eine Frau heiraten will. Besser das, als ihre Tochter verlieren, und außerdem liebt Debra Heidi, und das sei schließlich das Wichtigste. Debras Vater gibt nur wenige Sätze von sich, doch ist er derselben Auffassung wie seine Frau. Einfach sagenhaft, wie sich alle lieben und wieviel Verständnis jeder hat. Ich verstehe es nicht, und Heidis Mutter versteht es auch nicht. Heidis Mutter ist die Böse in diesem Film. Zwar liebt auch sie ihre Tochter, weshalb sie sich eben damit abgefunden hat, daß diese lesbisch ist, aber es hat sie einiges gekostet. Diese Hochzeit geht jetzt endgültig über ihren Horizont.
Das ganze Thema wirft eigentlich nur eine interessante Frage ab: warum denn nun ausgerechnet kirchlich? Die Religionsgemeinschaften verleihen keine Bürgerrechte. Die Folgen einer Ehe wie Unterhaltsrechte, Erbschaftsrechte etc. werden vom Staat geregelt. Warum bestehen die beiden darauf, ihre Ansprüche ausgerechnet kirchlich durchzusetzen? Wenn ein Afroamerikaner vom Ku-Klux-Klan nicht aufgenommen wird, kann man natürlich Diskriminierung schreien, aber ich wüßte doch zunächst mal gerne, warum er da überhaupt rein will. Eine Frage, zu der sich Elliman leider nicht aufraffen kann.
Ein anderes wichtiges Thema in den Kurzfilmen ist der Krieg. Vaclav Reischls „Köln ruft Kairo“ (Deutschland) hat ein wenig Ähnlichkeit mit Filipovics „Mizaldo“ (Forum). Beide benutzen u.a. Werbespots oder deren Ästhetik, um dieselbe Frage zu stellen: Warum ist der Westen so unfähig, Fiktion von Realität zu trennen? Reischl bezieht sich auf den Golfkrieg, Filipovic auf Bosnien. Das Problem liegt in der Ausgangsposition des Fragers. Der bosnische Regisseur Filipovic formuliert mit seinem Film eine Frage, auf die der Westen eigentlich eine Antwort geben müßte. Daß Reischl statt dessen nur dieselbe Frage stellt, kann man ihm anlasten. Oder auch sich selbst.
Elfi Mikeschs Kurzfilm „Soldaten, Soldaten“ — erster Teil eines geplanten Vierteilers — wurde in den von der Roten Armee verlassenen Kasernen rings um Berlin gedreht. Verfall macht sich immer gut in Schwarzweiß. So gibt es genügend schöne Bilder, um den Zuschauer in Trance zu versetzen. Trotzdem hat der Film etwas Unfertiges. Die Kamera tastet das verlassene Gelände ab, als suche sie im Gesicht eines Verbrechers nach den Spuren des Bösen. Aber da ist nichts. Nur ein Gesicht.
Einer der interessantesten Kurzfilme kommt aus dem Iran. „Gozideh tasvir dar doran-e ghajar“ von Mohsen Makhmalbaf zeigt Bilder aus der 100 Jahre zurückliegenden Ghajar-Dynastie. So steht es im Katalog. Zuerst sieht man einen Palast, die Böden mit Mosaiken belegt. Drinnen gibt es einen riesigen Saal, dessen Wände, Decken und Säulen aus Glas sind, geschliffen wie überdimensionale Diamanten. Der Effekt ist einigermaßen überwältigend. Dagegen mutet der Spiegelsaal in Versailles wie eine Pommesbude an. Dann sieht man Kunstwerke aus der Zeit der Ghajar, Ausschnitte aus Gemälden, Keramiken etc., alte Filmausschnitte über eine Art Parade in einem Freilichttheater, eine Bibliothek mit überaus kostbar anmutenden Büchern, die in Samt und Leder eingeschlagen sind. Zeugen einer Zeit, als die Suche nach Wissen noch nicht einzig im Dienst der Religion stand? Schließlich versucht jemand, zerrissene alte Negative wieder zusammenzusetzen, als wollte er seine Geschichte rekonstruieren. Makhmalbafs Kurzfilm ist einer der faszinierendsten Panoramabeiträge. Aber vielleicht finde ich das auch nur, weil er mir am rätselhaftesten geblieben ist.
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