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Die Trauben auf dem Felde

■ „Umbrellas“ - Drei Mann und Christos viele Regenschirme

So wie die unentwegt geradeaus denkenden Teenies in „800 Two Lap Runners“ können Japaner sehr grausam sein, wenn sie ein Ziel vor Augen haben. Irgendetwas an dieser Haltung wird auch den manisch ehrgeizigen Exil-Rumänen Christo gereizt haben, als er im Oktober 1991 quer durch insgesamt 452 japanische Reisfelder der Region Ibaraki nordöstlich von Tokyo sein „Umbrella“-Projekt betrieb: Annähernd 1.400 blaue Regenschirme (so blau wie die Buddha-Moden der Tibeter in Herbert Achternbuschs Berlinale- Film), die mit weiteren 1.600 „Van- Gogh-Gelb“-farbenen auf den Äckern und Hügeln Kaliforniens als globales land art network drei Wochen lang vom Flugzeug aus gesehen eine harmonische Einheit für Gott und die Welt und Christo ergeben sollten.

Der Einsatz dafür war hoch gewesen: Sechs Jahre rhetorische Überzeugungsarbeit an skeptischen Bauern in Ost und West, 26 Millionen Dollar Produktionskosten und 3.000 jeweils 220 Pfund schwere, über viereinhalb Meter messende Seidenschirme, die nach der Aktion fachgerecht recycelt werden durften. Mehrere hundert studentische Hilfskräfte, die für Christo den Aufbau besorgten. Buttons, Schirmmützen und Uniformen für alle Beteiligten, Pressekonferenzen mit den Medien in Japan und USA, generalstabsmäßige Überwachung durch Polizei und Katastrophenschutz usw. usf. Neben dieser Materialschlacht im Namen des Erhabenen nehmen sich die drei Film-Teams recht unscheinbar aus, die das Unternehmen mit sieben Kameramännern in drei Jahren Feinschnitt zu immerhin 92 Dokumentarminuten auf 16mm-Format/Farbe verarbeitet haben — wie die einfachen Leute, die das Christo-Projekt anstelle von Kunsthistorikern oder -kritikern kommentieren: Etwa der kalifornische Frisör, der sich für Christos Arbeit freiweg erwärmen kann: „Der malt nicht nur Weintrauben für die Wand, sondern der macht wirklich was anderes“; oder die schüchterne Tankstellenwartin, die sich über ein solch gewaltiges Kunstwerk kein Urteil erlauben mag; oder der liebeshungrige japanische Bauer, der vor allem hofft, eines Tages die Frau fürs Leben zu finden.

„Umbrellas“ ist der Film über ein wenig neubelebte Woodstock- Kultur, über ein Pop-Happening, das vor allem Menschen zusammenbringen sollte: In Kalifornien geben sich Pärchen das Ja-Wort unter den gelben Baldachinen, wiedererwachte Freaks rennen auf Trip in der Dämmerung den Sonnenschirmen entgegen und irgendwelche Schaulustige sorgen fürs Verkehrschaos-Ambiente. Die Japaner dagegen stehen diszipliniert zum Foto-Termin an oder kichern ob der blauen Pracht.

Der Film pickt sich einzelne Personen aus dem Pulk der Bewunderer heraus und verzahnt deren Geschichte mit dem Werdegang der Aktion, auch um zu zeigen, daß laut Christo Kunst wie das Leben „eine tiefe Dimension der Irrationalität“ besitzt, „in der Unberechenbarkeit und Schönheit dasselbe sind und in der das Leben so unbezähmbar ist wie das Schicksal“. Eine kalifornische Farmerin muß weinen beim Anblick der schönen Schirme, die da auf dem Berge stehen: „Es ist so viel größer, als ich es mir jemals ausgemalt hatte.“ Im Bild verharrt die Kamera dabei auf einer Postkarten- Szene, in der sich das Gelb der Seide vor dem Blau des Himmels abzeichnet.

Doch selbst Schirme, so sie denn die Welt bedeuten, verlieren nach den ersten 60 Panorama-Einstellungen an Wirkung — egal ob sie nun mit lebhafter Koyanisqatsi- Musik untermalt vom Helikopter aus gefilmt werden oder per Handkamera im Einsatzgebiet. Und eigentlich sollte „Umbrellas“ auch ein wenig erklären, was bei Christo so alles im Kopf vorgeht, wenn er für 26 Millionen Dollar Regenschirme in der Walachai aufspannen läßt. Daraus wurde jedoch nichts.

Der Künstler bleibt verschlossen, ein launiges Wesen, das hektisch in der Natur herumfuhrwerkt, planlos über die Reisfelder irrt, sinnkrisenhafte Momente durchlebt, seine Ehefrau Jean-Claude oder die Untergebenen anbrüllt und am Ende ziemlich betroffen ist, als ein Mädchen von einem aus der Verankerung losgerissenen Gestänge zu Tode gepflockt wird. Da wird ihm klar, daß „hier mehr passiert als nur Kunst, das hier ist Wirklichkeit.“

In allen Lebenslagen hilft ihm zumeist nur ein Gedanke aus dem Jammertal der eher widrigen Wirklichkeits- und Witterungsverhältnisse: „Wir müssen das Projekt retten“, faucht er ins Telefon — und einmal mehr muß Jean- Claude zu nachtschlafener Zeit in Gummistiefeln hinaus aufs Reisfeld, um die Schirme aufzuspannen, einzuholen und bei Sonnenschein wieder aufzuspannen. Oder sie kann einfach nur noch traurig zusehen, wie ein Taifun das Lebenswerk ihres Gatten durch die Gegend schleudert. Trotz der unerschrockenen Sisyphus-Arbeit hätte eine kleine Video-Dokumentation wahrscheinlich ausgereicht — ist ja heute eh fast alles „direct cinema“. Harald Fricke

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