: Zwischen allen Parkettstühlen
Von der Avantgarde ins Allerlei – die Vagantenbühne muß dringend einen neuen Weg suchen ■ Von Matthias Schad
Hinter der dunklen Toreinfahrt zwischen Delphi-Kino und Theater des Westens ist sie inzwischen fast in Vergessenheit geraten, die Vagantenbühne. Hier wurde ewig und drei Tage Wolfgang Borchert gespielt. „Draußen vor der Tür“ und dann Max Frisch, „Biedermann und die Brandstifter“, bis der letzte Pennäler in Berlin das wenigstens einmal gesehen hatte. Auch das gegenwärtige Programm bietet reichlich Aufgewärmtes. „Es war die Lerche“, eine Shakespeare-Klamotte von Ephraim Kishon, stand schon mal vor zehn Jahren bis zur Übelkeit aller Beteiligten auf dem Spielplan. Ebenfalls abgenudelt seit anno dunnemals – der Tucholsky-Abend „Lerne lachen ohne zu weinen“. Und kürzlich die Premiere von Peter Hacks' unsäglicher Goethe-Karikatur „Gespräch im Hause Stein“, mit der doch schon das Maxim-Gorki- Theater und die Schaubühne sämtliche potentiellen Interessenten dieser Stadt in den letzten Jahren abgefüttert hatten! Wen wundert's also, daß dieses Kellertheater mittlerweile vor sich hindümpelt.
Das ist sehr schade. Denn ihrer Tradition entsprechend zeigt die Vagantenbühne oft auch aktuelle Stücke zeitgenössischer Autoren wie „Furcht und Hoffnung in Deutschland“ von Kroetz. Aber kein Schwein geht hin. Und zwar nicht, weil die Inszenierung zu bieder wäre. Es liegt vielmehr an einem sehr unentschlossenen und ungeschickten Krisenmanagement, das auf Kosten des Profils geht. Denn keiner weiß mehr: Avantgarde oder Boulevard oder Kleinkunst oder was?
Das rastlose Umherschweifen zwischen gegensätzlichen Geschmäckern des Publikums hat Ursachen. Der erhebliche Besucherschwund, der seit der Wende im Westen allgemein zu verzeichnen ist, löste auch bei den Vaganten einen verzweifelten Kampf um die Zuschauer aus. Der größte Konkurrent im Osten war und ist das Maxim-Gorki-Theater, das im großen Haus und in der Studiobühne ein ähnliches Angebot an Klassikern der Moderne zeigt. Genets „Zofen“ etwa liefen bei den Gorkis exzellent, bei den Vaganten aber überhaupt nicht. Der als Rettungsversuch gemeinte Sprung erfolgte leider in die falsche Richtung. Mit altbekannten Boulevardstücken wollte man sich bei den flüchtenden Abonnenten und der Laufkundschaft vom Ku'damm anbiedern. Die zogen es aber vor, weiterhin in einem richtigen Theaterbau vor prominenten Schauspielern abzulachen. Und beides können die Vaganten nicht bieten und sollten es auch nicht wollen.
Für jeden etwas will keiner mehr
Nun war bereits vor der Wende, 1985, der aufwendige Umbau der etwas schäbigen experimentellen Arenabühne in einen komfortablen Guckkasten ein erster Versuch gewesen, sich vom Aschenputtel des Kellertheaters zu einer seriösen Studiobühne zu mausern. Drei Fliegen sollten dabei weiterhin unter eine Klappe passen. Man wollte an die Tradition der sechziger Jahre anknüpfen, als sich die Vagantenbühne zum Spielort der literarisch-politischen Avantgarde entwickelte. Man wollte, wie auch in alten Zeiten, Komödie spielen, aber anspruchsvoll, ohne auf den Ku'damm zu schielen, und man wollte die literarisch-musikalische Revue weiterhin pflegen und mit ihr den Ruf, die beste Kleinkunstbühne der Stadt zu sein.
Und das tat man auch. Die Favoriten aus alten Tagen, Sartre und Ionesco, wurden endgültig verabschiedet, statt dessen kamen Fugard, Handke, Sam Shepard, Kroetz, Koltès, Tardieu und Beckett auf die Bühne. Auch die Komödie wurde mit Max Frischs Biographie-Spiel anspruchsvoll bedient und nahm längst nicht so viel Raum ein wie nach der Wende. Und von Benn, Klabund, Tucholsky bis Georg Kreisler war man populär und zugleich politisch ehrlich. Auch wenn man lieber Rühmkorf gespielt hätte. Das reichte für Westberlin, man hatte von allem etwas, jede Altersgruppe war abgedeckt. Mit der Expansion des Theatermarkts mußte dieses Konzept der Dreiteilung aber in die Krise geraten. Spartentheater ist gefragt: entweder Boulevard oder Klassiker oder Moderne oder Kabarett. Wer von allem etwas bietet, geht baden. Die Vaganten blieben aber stur bei ihrem Spielplankonzept, das ihnen nach und nach zerpflückt wurde. Und so begann ein zielloses Umherrennen. Dem Ku'damm-Schwank von Georges Feydeau folgte das populäre Antirassismus-Stück „Die Insel“ von Athol Fugard. Aber gegen Taboris Politgrotesken im Maxim-Gorki oder dem Spektakel an der Volksbühne hat diese Form politisch gemeinten Theaters keine Chance! Und wie will man mit Tucholsky und Kästner Kabarett machen im neuen Deutschland?
Als ein Privattheater müssen die Vaganten 40 Prozent ihres Etats selber einspielen, was angesichts schwindender Publikumszahlen immer schwieriger wird. Zumal der Senat demnächst neben allen übrigen Subventionskürzungen auch noch den lebenswichtigen Tropf der sogenannten Platzsubvention abdrehen wird, die Erfolgsprämie für jeden Zuschauer. Anstatt es aber nun allen recht machen zu wollen, sollten die Vaganten sich besser einen einzigen Platz suchen auf dem Theatermarkt. Vielleicht wieder als muffiges Kellertheater, was mit der Musik- und Textcollage über die Beat-generation, wie sie für April angekündigt ist, ja gelingen könnte.
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