Sanssouci: Vorschlag
■ Abhotten beim „Amphetamine Reptile Festival – Clusterfuck 94“ im Huxley's Jr.
Man darf aufatmen: Die Berlinale neigt sich langsam und schwerfällig ihrem Ende zu. Filme und Bücher sind, fast alle, konsumiert (und schon vergessen?), die Bären (bald) verteilt, ihre Felle zerlegt, die Buffets geleert, und, am schönsten, die vielen Ten-days-V.I.P.s verschwunden – geläutert, gereinigt und mit der Kamera im Kopf. Endlich wieder Zeit, sich den wahrlich wichtigen Dingen des Lebens zuzuwenden, wie dem Lauschen von bösen, dreckigen Gitarren und dem Baden im Schlamm des Rock'n'Roll.
Nichts liegt also näher, als am heutigen Abend dieser Spezies von Zeitvertreib zu frönen und den im Huxley's aufspielenden Bands die Aufwartung zu machen. Tom Hazelmeyer als Chef des beliebten amerikanischen Amphetamine-Reptile-Labels hat wieder einige von seinen Jungs, „still wet behind the ears, and young enough to desire balls out kickin' it“, zum Paket verschnürt und nach Europa gesandt. Nach der „Ugly American Overkill“- Tour, auf die vor ein paar Jahren Bands wie Helmet, Tar oder Surgery gingen, heißt das Ganze diesmal sinnig und stimmig Clusterfuck. Und enthält (neben einem Haufen Scheiße) drei Prisen Spinnertum, zwei Prisen Punk und eine Prise Hardcore. Ab geht die Post.
Noch am erträglichsten dabei sind Chokeboree, eine Band, die ihre Heimat Hawaii mit dem Festland eintauschte, um bei Captain Tom anzudocken. Ihr schmutzig und dabei okay punkrockistischer Sound enthält immer ein wenig durchdachte Struktur, ein paar dramatische, den großen Ausbruch vorbereitende Momente und hier und da gar einen Melodiebogen. Schnörkel, auf die Guzzard gänzlich verzichten. Die machen, ja... straighten Punkrock, ganz nach der Devise: atemlos, nach vorne und so schnell die Gitarren tragen.
Der Höhepunkt dieses Treibens dürfte allerdings Today Is The Day werden. Als Garant für totale Unhörbarkeit und Abgedrehtheit stehen sie am ehesten für AmRep-typischen, sinn- oder sinnlosen Noise-Wahn. Entweder jagt ein Break das andere oder es werden zäh, nervig und gemein die Instrumente gequält, sehr free und sehr frech. Ihren Brüdern im Geiste, dem bisherigen Glanzstück von AmRep, den Cows, stehen Today Is The Day dabei in nichts nach und warten auf ihrer „Supernova“-CD, neben der fiesen Mucke, auch mal mit schweinischem Grunzen oder schafsähnlichem Mähen auf.
Daß das heute abend nicht unbedingt die Zukunft von Punk, Core oder Rock ist, versteht sich von selbst, doch Masse und Extremismus garantieren sicher hohe Aufmerksamkeitsquoten plus Exotenbonus. Gerrit Bartels
Chokeboree, Gozzard, Today Is The Day, heute, 21 Uhr, Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Neukölln
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