Sanssouci: Nachschlag
■ Phantomschmerzen eines Abservierten: Hermann Kant las aus einem unveröffentlichten Roman
Als „eines der flinkesten Pferdchen aus dem Elitestall der SED-Presse“ hat Marcel Reich-Ranicki in seiner Rezension der „Aula“ 1966 den Autor des Buchs, Hermann Kant, bezeichnet. Bis dahin nur als Journalist für das Neue Deutschland bekannt („der lustige Bruder vom traurigen Feuilleton“ – R.-R.), war es Kant mit seinem Debütroman gelungen, in Ost wie West auf sich aufmerksam zu machen. Mit der „Aula“ betrieb Kant die Mystifizierung der DDR-Aufbau-Phase. Die Geschichte war keineswegs konventionell heruntergeschnurrt, der Germanist Kant zeigte sich mit Techniken modernen Erzählens vertraut. Das eine, die mit läßlicher Kritik gewürzte Geschichtslüge, lobte die östliche Kritik, weshalb sie das andere schluckte; umgekehrt hielt es die Kritik im Westen. So hat es der langjährige Chef des DDR- Schriftstellerverbandes trotz politischer Gemeinheiten und unredlicher Bücher über Jahre hinweg verstanden, für beide Seiten interessant zu bleiben.
Doch womit beschäftigt man sich, wenn die Beachtung – gelinde gesagt – nachgelassen hat? Natürlich mit sich selbst. Bei Kant ist das zur Manie geworden. Es ist kaum drei Jahre her, daß er einen längeren autobiographischen Text unter dem Titel „Abspann“ veröffentlichte. Das assoziiert nicht gerade Vorläufigkeit, dennoch geht der Film weiter. Am Donnerstag stellte der Autor dem Publikum im Künstlerklub „Die Möwe“ einen neuen, bislang unveröffentlichten Roman vor, dessen Hauptfigur „autobiographische Züge“ trägt. Paul Martin Kormoran heißt der Held, der die Freuden und Leiden der Kantschen Biographie stellvertretend durchlebt. Die wenigen vorgestellten Seiten aus dem Roman lassen ahnen, was von dem Buch zu erwarten ist: kurzweilige Prosa, die dennoch anödet, weil ihr einziger Gegenstand das gekränkte Ego des Autors ist. Erzählkunst, die keinen Boden findet, vorgetragen in der Pose des Geächteten, der sich gerade deshalb im Recht glaubt, weil keiner mehr zuhören will. Verschwunden ist der Plauderton, die Geschwätzigkeit, mit der Kant noch im „Abspann“ die Berühmtheiten vorbeiziehen ließ, die zu ihm in irgendeiner Beziehung standen. Alles scheint diesmal etwas schwerer aus der Feder geflossen zu sein, und fragt man nach den Gründen, bekommt man Antwort im Roman: „Schlimmes und Schlechtes“ beherrsche die Gegenwart im neuen „Land der Anwälte und Pastoren“, und „da, wo links die Mauer stand, ist jetzt ein Phantomschmerz“. Hinzu kommt beinahe lustlos eingestreutes name-dropping: wenigstens Peter Ustinov und Loriot haben an den Jubilar zu seinem 66. gedacht.
„Aber so begabt und agil dieser Mann auch ist“, schrieb Reich-Ranicki in der eingangs erwähnten Rezension, „so wenig gefällt er mir.“ Wird man am ersten Teilsatz inzwischen zweifeln können, bleibt dem zweiten nichts hinzuzufügen. Peter Walther
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