: Romeo liebt seinen Blutsbruder
■ "Mi Hermano del Alma" (Panorama)
Die Variation eines alten Themas: Blut ist dicker als Wasser, steht unsichtbar auf der Stirn des älteren Bruders geschrieben, als er plötzlich wieder vor der Tür steht. Zehn Jahre ist es her, seit Carlos, den er „Kid“ nennt, ihn verlassen hat — zusammen mit Julia, die jetzt kein Stirnband mehr trägt.
Sie und Carlos, sie haben's geschafft: das Haus, die Einrichtung, Double Income No Kids, guter, sauberer Sex — ein kleines Hollywood tut sich da auf im postfrancistischen Spanien. Alles könnte seinen geläutert demokratischen Gang gehen, wäre nur Toni nicht zurückgekommen. Schon wie er den teuren italienischen Wagen fährt, läßt keinen Zweifel daran, daß er der wahre Romeo ist.
Dabei spielt sich die eigentliche Liebesgeschichte hier gar nicht zwischen Mann und Frau ab, sie kommt aus dem inzestuösen Untergrund der „Hermanos del Alma“, der Seelenbrüder. Unzertrennlich sind sie erst recht, seit Toni Carlos bei einem Unfall Blut gespendet hat. Gemeinsam wird gezecht, gekumpelt, gehurenbockt. Wehe, wenn sie losgelassen: Als Carlos, der Versicherungspolicen verkauft, sein Alter Ego mit auf Tour nimmt, bricht die späte Rache des spanischen Machos an den zivilen Codes eines ohnehin traditionslosen neuen Mittelstands sich so richtig Bahn.
Obwohl dabei ein Mensch auf der Strecke bleibt, erzählt Regisseur Mariano Barroso die Geschichte des ungleichen, aber im Innersten zusammengehörigen Brüderpaars als Komödie — das ist der unhintergehbare Fortschritt in der Form. Die Männerhorde, die im Herzen der spanischen Gesellschaft wohnt, ist zwar nicht wirklich zu domestizieren, doch sie hat auch kein Recht mehr auf Tragik. Wenn Latin Lover Toni dem Ruf seines Blutes folgt, und Carlos ihm dabei blind hinterhertappt, sind immer zugleich zwei Typen zur Besichtigung freigegeben.
Daß gewisse erzählerische Feinheiten dabei auf der Strecke bleiben müssen, liegt in der Natur des Gestränges. Auf psychologischen Realismus kam es Barroso genauso wenig an wie auf Handlungslogik.
Wenn die Erzählung es braucht, tritt schon mal ein imaginärer Vater auf, der die beiden unversöhnten Prinzipien aus patriarchalischer Ferne „magisch“ herübergrüßt. Am Ende haben die Brüder auf unterhaltsame Weise eine Menge Schaden angerichtet, doch wie sie so ramponiert am offenen Meer stehen, könnte es generationenlang weitergehen.
Und wenn die Synthesizermusik dazu anschwillt, sentimental wie der Soundtrack einer mit sich selber nicht so recht glücklichen Moderne, versteht man besser, warum Barroso im Nachspann sowohl Gabriel García Márquez als auch Ray Ban dankt. tg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen