: Blut klebt am Kaschmirschal
Der Gewinn der teuersten Kaschmirwolle endet tödlich fürs Tier ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly
Der Kaschmirschal ist für die Damen der besseren Gesellschaft in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi etwa das, was bis vor kurzem ein Pelzmantel im Westen war: ein Überwurf, der nicht nur Wärme spendet, sondern auch Eleganz und Wohlstand ausströmt. Das teure Gewebe stammt von der domestizierten Changra-Ziege, die in Höhen von über 5.000 Metern weidet und daher unter ihrem äußeren Wollkleid einen wärmenden Flaum von etwa 100 Gramm trägt – die berühmte Pashmina-Wolle. Und wie es bei den Pelzen den Nerz gibt, so gibt es beim Kaschmirschal Shahtush: das weiche Haar unter dem Hals der Tibet- Antilopen, das diese beim Weiden an den Dornbüschen abstreifen. Die extreme Feinheit von unter zehn Mikron Durchmesser gibt dem glücklichen Shahtush-Besitzer einen Schal von großer Wärme, der dabei so leicht (150 Gramm) und weich ist, daß er ihn durch einen Fingerring ziehen kann. Entsprechend königlich sind die Preise: Ein Shahtush-Schal kostet in Delhi 3.000 Dollar, in den Kaschmir-Boutiquen von Paris und New York das Dreifache.
Doch das pastorale Idyll von den Nomaden der tibetischen Hochebene, welche mühsam Flaumbällchen einsammeln, ist jetzt zerstört; und es dürfte nicht mehr lange dauern, bis auch der Shahtush-Schal, wie seine vornehmen Cousins aus der Pelzfamilie, bald aus den Geschäften verbannt sein wird. In Kaschmirläden der indischen Hauptstadt ist dies bereits geschehen, nachdem die Regierung den Verkauf von Shahtush verboten hat. Der Auslöser dafür waren Beobachtungen des US- amerikanischen Tierschutzexperten George Schaller, der in Expeditionen die einsame Hochwüste des Chang Tang im nördlichen Tibet erforscht hat.
Dabei erfuhr er, daß die Shahtush-Wolle um den Preis des Lebens der Antilope gewonnen wird: Die Nomaden stellen Fallen und töten die Tiere mit primitiven Steinwaffen. Seßhafte Bauern jagen sie mit Gewehren. Dabei wird die Chiru-Antilope im Cites-Artenschutzabkommen, dem China und Indien beigetreten sind, als „gefährdet“ aufgeführt, Jagd und Handel sind verboten.
Als Schallers Beobachtungen letztes Jahr im Augustheft des National Geographic Magazine publik wurden, gehörten zu den erstaunten Lesern auch die indischen Mitarbeiter von „Traffic“. Traffic ist die 1976 vom Internationalen Naturschutzbund IUCN ins Leben gerufene Organisation, welche den Handel von Tieren und Pflanzen überwacht. „Auch wir waren der Volksmeinung aufgesessen, daß Shahtush von den Dornbüschen gesammelt wird“, meint Vivek Menon von Traffic India. „Dabei gibt es im tibetischen Hochland kaum dorniges Gebüsch.“ Und auch die Idee, daß die Antilopen in Fallen gelockt, geschoren und dann laufen gelassen werden, verwirft Menon als blauäugig, um so mehr, als auch die Hörner verkauft werden – sie haben auf dem skurrilen Kuriositätenmarkt der chinesischen Liebesmedizin ihren angestammten Platz, neben Tiger-Penissen und Hirschtalg. Traffic India alarmierte die indischen Behörden, und Anfang Januar gelang es erstmals, eine größere Ladung Wolle abzufangen. Aus den beschlagnahmten 107 Kilogramm Shahtush- Wolle hätte man etwa 400 Schals weben können, mit einem Wert in Indien von rund einer Million Dollar und dem Dreifachen im Westen. Der Preis dafür war allerdings auch hoch: das Leben von rund 750 Antilopen. Die Sendung kam aus Kathmandu und bestätigte die Vermutung der Traffic-Beobachter, daß die Ware aus Tibet nach Nepal geschmuggelt wird und von dort nach Indien kommt, das den bei weitem größten Shahtush-Markt darstellt. Am 4. Februar gelang der Polizei in Delhi ein noch größerer Fang, als sie in einem Warenlager 400 Kilogramm Shahtush beschlagnahmte. In beiden Fällen waren die Adressaten Tibeter im indischen Exil.
Damit erhält die Affäre neben ihrem tierschützerischen Aspekt eine politische Komponente. Viele Exil-Tibeter reisen aus familiären Gründen hie und da illegal über die Grenze nach China und treiben dabei wohl auch ein bißchen Schmuggel. In den letzten Monaten hat sich in lokalen Tierschutzkreisen der Verdacht gestärkt, daß Flüchtlinge am Schmuggel von Organen geschützter Wildtiere beteiligt sein könnten, welche in China wegen ihrer medizinischen und aphrodisischen Heilkraft gesucht sind. Vertreter von Traffic suchen nun das Gespräch mit dem Dalai Lama. Denn das Image des tibetischen Volkes könnte Schaden nehmen, wenn sich bestätigen sollte, daß Flüchtlinge helfen, das buddhistische Gebot des Ehrfurcht vor allem Leben zu verletzen – ausgerechnet im Handel mit dem Erzfeind China.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen