: Keine Schokoladenfabrik
■ „Die Wismut“ – Ein Dokumentarfilm von Volker Koepp
„Das pfeift ganz schön“ sagt der Bergmann und hält den Geigerzähler an seinen Fund: Pechblende, Uranerz. „Nun braucht es keiner mehr. Schade.“ Ist das nicht gefährlich, fragt Volker Koepp später und in eigentümlichem, erzgebirgschen Idiom antwortet ein Kumpel: „Übers Gefährliche muß man sehr verschiedener Meinung sein. Ich bin Bergmann und das hier ist keine Schokoladenfabrik.“
Wismut war ein Tarnname für ein Gebiet im Süden der DDR: hier wurde das Uranerz für die sowjetische Atombombe gefördert. Die Wismut war Staat im Staate, mit eigener Polizei und eigenen Pässen. Nun ist die Landschaft ruiniert, die Städte sind verstrahlt, die Gesundheit der Kumpel kaputt. Altstädte wurden abgerissen, das Zentrum von Johanngeorgenstadt ist leeres Ödland. Nur die Kirche steht noch, mit Rissen in den Wänden. Die Stollen reichen bis zu den Baumwurzeln. „Die Wismut“ ist weniger Reportage über ein Gebiet, das bis zur Wende terra incognita war, als Panoramablick und geduldige Milieubeschreibung. Koepp läßt die Menschen erzählen, Thomas Plenerts elegante Kamera folgt ihnen in Schächte, Wohnungen und Kneipen. Die Kultur ist ganz und gar vom seit Jahrhunderten betrieben Bergbau geprägt, seit 800 Jahren gräbt man nach Silber, Eisen und Erz.
Unverdrossen singen die Veteranen beim Bier „Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt“ und pflegen Erinnerungen an die wüsten Anfangsjahre: den Hunger nach 45, als man Gras und Löwenzahn fraß, den Enthusiamus, mit dem man in den Schacht fuhr – es ging ja darum, den Frieden zu sichern. Mit Badehose und Gummistiefeln fuhren die Kumpel unter Tage und atmeten radiokativen Staub. Nach der Arbeit prügelte man sich auch mal mit der Polizei und versoff den Lohn an einem Abend: der wilde Osten. Eine halbe Millionen haben im Laufe der Zeit bei der Wismut gearbeitet, vielleicht auch doppelt so viele.
„Die Wismut“ wirkt kühler, disparater als Koepps „Wittstock“ Film. Das mag daran liegen, daß er es mit einer Männerwelt zu tun hat, vor allem aber am Sujet. Die etwas unübersichtliche Dramaturgie, die uns Heldinnen wie in „Wittstock“ verweigert, spiegelt die Zerrissenheit der Kumpel, die Schwierigkeit, Zusammenhänge zu verstehen. Wie ein roter Faden durchziehen nicht gestellte Fragen den Film: Wie sieht das Leben aus, wenn man weiß, daß man täglich mit tödlichem Material hantiert? Was geschieht mit einem, wenn man für ein sinnloses Produkt geschuftet hat? „Wir haben unsere Knochen für nichts und wieder nichts hingehalten“, sagt ein Kumpel und einen Augenblick später: „Bergmann ist der schönste Beruf, den es gibt“. Real existierende Schizophrenie.
Gewiß geht es um DDR-Geschichte, um eine Diktatur in der Diktatur, aber „Wismut“ hat noch einen anderen Horizont: den Widerspruch zwischen einer traditionellen Produktionsweise und unkontrollierbarer Zerstörungstechnologie. Die Gefahr ist der sinnlichen Wahrnehmung entzogen, die Kumpel können die Riskien kaum mehr durchschauen. Und das Arbeitsethos, das sich in Jahrhunderten als taugliche Haltung erwiesen hatte, verhindert erst recht klare Erkenntnis der Lage. „Wismut“ zeigt, nebenbei, auch wie sehr die Atomtechnologie menschliches Bewußtsein übersteigt und historische Erfahrung und Gewißheiten sprengt. Stefan Reinecke
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