: Der Krieg auf der anderen Seite
Auch im serbisch kontrollierten Teil Sarajevos hat der Krieg deutliche Spuren hinterlassen / Die serbischen Soldaten hoffen nun, daß die russischen Blauhelme ihnen bei der Teilung der Stadt helfen ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
Aufrecht steht er da und gibt selbstbewußt auf alle Fragen Auskunft. Hauptmann Mica, einer der Kommandanten in dem von den serbischen Nationalisten beherrschten Stadtteil Grbavica in Sarajevo, genießt die ungewohnte Szenerie. Der Pulk von Journalisten, der sich um ihn drängt, bestätigt seine Wichtigkeit. Auf einen Stock gestützt und ein Bein leicht nachziehend umgibt sich der kaum dreißig Jahre alte Mann mit der unnahbaren Aura eines verwundeten Helden dieses Krieges.
„Dies hier haben wir über 22 Monate lang gegen die Angriffe der Mudschaheddin gehalten.“ Mica deutet auf die Häuser einer etwas höher liegenden Siedlung. Sie alle zeigen Spuren von Beschuß, diese stammen im Unterschied zu anderen Teilen der Stadt aber nur selten von Artilleriegranaten. Doch die Einschußlöcher aus Maschinengewehren zeugen davon, daß die Zivilisten auch hier in Grbavica in Angst und Schrecken leben mußten. Wie „drüben“ – in den von der bosnischen Armee gehaltenen Teilen der Stadt – sind Sichtblenden gegen die Scharfschützen angebracht. Und die Menschen eilen geduckt durch die Straßen, als trauten sie dem neuen Frieden nicht so recht.
Hauptmann Mica geht gelassen auf dem Weg, der hinunter zu den Kasernen der ehemaligen Polizeischule führt. Und er lächelt, als er auf die Wachsoldaten am Toreingang deutet. „Endlich sind die Russen da. Denen können wir vertrauen, mit denen fühlen wir uns sicher.“ Am Montag morgen, nach Ablauf des Ultimatums der Nato in die Stadt gekommen, blinzeln die russischen UNO-Soldaten noch etwas müde in das kalte Sonnenlicht. Und sie nicken auf die Frage, ob sie hierhergekommen seien, um dem serbischen Stadtteil in Sarajevo Schutz zu geben. Doch dann verweigern sie jegliche Auskunft, sie seien nicht autorisiert, zu sprechen. „Sie sind unsere Freunde, wie die Griechen, die orthodoxe Welt muß zusammenhalten“, erklärt Hauptmann Mica.
„Geschlossen für Schirinowski“
Ein Offizier, der aus dem Gebäude kommt, ist nicht ganz zufrieden mit seiner Unterkunft. „In der Baranja, bei Vukovar, war es besser.“ Seine Leute erfüllten nur den Auftrag der UNO. Er sei aber froh, im serbischen Stadtteil Dienst zu tun. Seine Einheit habe bei der Wahl in Rußland „geschlossen für Schirinowski“ gestimmt. Denn Rußland „braucht einen starken Mann“.
Die Frage, ob die Stationierung von russischen Truppen in Grbavica das Zugeständnis war, das die Serben zur Abgabe ihrer Waffen veranlaßte, wehrt er ab. „Wir sind hier, um auf die Waffen aufzupassen“, und deutet in Richtung auf eine der acht Sammelstellen, die im Gebiet rings um Sarajevo errichtet wurden. „Erst als klar war, daß die Russen kommen, haben wir unsere Waffen abgegeben“, bekräftigt dagegen Hauptmann Mica. Die Sammelstelle liegt nicht weit entfernt in einem Hinterhof. Kinder spielen auf dem Platz, auf dem auch einige französische, polnische und spanische UNO-Soldaten zu sehen sind. In einer Ecke lagern drei Haubitzen und einige Granaten. Dies sollen alle serbischen Waffen des Stadtteils in Grbavica sein? Von den 122-mm- und 155-mm-Kanonen, mit denen die eingeschlossene Stadt bombardiert wurde, ist nichts zu sehen. „Alles altes Zeugs“, meint ein Militärexperte. Und ein UNO-Offizier bekräftigt, es seien nur diejenigen Waffen hierhergelangt, die nicht mehr brauchbar waren. „Die schwere Artillerie und die Panzer sind nach Pale geschafft worden, ein paar ältere Modelle auch nach Lukavica, wo sie unter UN-Kontrolle stehen.“
Das will Hauptmann Mica nicht bestreiten. „Wir sind für den Frieden. Doch die andere Seite will uns wieder angreifen, Izetbegović will den Krieg, weil er die Teilung der Stadt nicht hinnehmen will. Wir aber werden uns verteidigen.“ Sarajevo werde eine geteilte Stadt bleiben. „Wir wollen nicht mehr mit den Mudschaheddin zusammenleben, die sollen ihren Stadtteil bekommen, wir den unseren und die Kroaten einen Dritten.“ Dafür hätten schon die Väter und Mütter im Zweiten Weltkrieg gekämpft.
Etwas abseits, um eine Häuserecke herum, winkt eine Frau. Sie möchte einen Brief nach „drüben“ mitgeben. In einem Hauseingang berichtet sie mit leiser Stimme, daß die noch verbliebenen Muslime und Kroaten in Grbavica „schrecklich zu leiden hätten“. Die wenigen, die noch hier sind, bekämen nur ab und zu von Hilfsorganisationen etwas zu essen. Gerade hier, in diesem Häuserblock, seien am Anfang des Krieges schreckliche Verbrechen geschehen. „Hier haben die Tschetniks gewütet.“ Als ein Geräusch zu hören ist, verschwindet sie in der Dunkelheit.
„Die Verbrechen müssen geahndet werden“
Die Spuren des Massakers von damals sind nicht mehr zu sehen. Doch jene, denen es gelang zu fliehen, erzählen, wie eine serbische Ärztin muslimische und kroatische Frauen in einer Garage, die nahe an dem heutigen Sammelpunkt für die Waffen gelegen haben muß, persönlich sterilisierte. Einige der Opfer seien an Ort und Stelle verblutet. „Die Verbrechen, die in Grbavica geschehen sind, müssen geahndet werden“, wird später am Abend der Vertreter der bosnischen Regierung, Ejub Ganić, auf einer Pressekonferenz erklären. Eine Teilung der Stadt komme nicht in Frage. Die UNO müsse Schritte unternehmen, um die Einheit der Stadt wiederherzustellen.
Doch auf dem Sammelplatz winkt Hauptmann Mica nochmals ab. „Die russischen Soldaten sind auf unserer Seite.“ Wenn die UNO die Demarkationslinie sichere, sei es ihm recht, wenn nicht auch. „Izetbegovićs Leute sollen nur kommen, wir haben noch genug Waffen, um uns zu verteidigen. Der Krieg ist noch nicht zu Ende.“ Und gemessenen Schrittes geht er zum Auto, den Besuchern bedeutend, Grbavica jetzt schleunigst zu verlassen.
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