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Die Grünen lassen das Streiten nicht

Bei dem heute in Mannheim beginnenden Bundesparteitag von Bündnis 90/ Die Grünen ist der Streit zwar nicht vorprogrammiert, aber wohl auch nicht gänzlich zu vermeiden  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Viel, viel Papier müssen die rund 700 Delegierten durchwälzen, die sich heute abend im Mannheimer Rosengarten treffen, um das Wahlprogramm des Bündnis 90/Die Grünen zu verabschieden. Über die großen Komplexe Wirtschaft und Ökologie, die Außenpolitik und die Innenpolitik soll bis Sonntag diskutiert und beschlossen werden. Wie und mit wieviel Streit die grünen Delegierten dieses Pensum absolvieren, davon hängt ab, wie deutlich die Botschaft dieses Parteitags ausfällt.

Bundesvorstandssprecher Ludger Volmer wird heute abend mit seiner Eröffnungsrede die ersten mediengerechten Happen aus den dickleibigen Programmen destillieren können. Volmer, der aus der Parteilinken kommt, hat eine Koalitionsaussage für Rot-Grün angekündigt. Allerdings soll sie „nicht euphorisch“ ausfallen. Joschka Fischer, der heimliche Ober-Grüne, hat zu Jahresbeginn die glasklare Realo-Orientierung ausgegeben: 1994 geht es um die Regierungsbeteiligung in Bonn. Verglichen mit früheren Zeiten sind das eigentlich maßvolle Differenzen.

Doch wie regieren und wofür, darüber kreuzen Linke und Realos nach mehrjährigem „Burgfrieden“ nun die Klingen. Es nütze wenig, wenn „sogenannte heimliche Parteivorsitzende einen auf Little Scharping machen“, kommentierte Volmer unmittelbar vor dem Parteitag die Linie von Joschka Fischer. Der wird das kaum auf sich sitzen lassen wollen. So wird es in Mannheim wohl doch nicht ganz friedlich zugehen.

Dabei haben sich alle Beteiligten vor diesem Parteitag sichtlich Mühe zu geben, die öffentlichen Erwartungen auf Streit bei den Grünen zu enttäuschen. In den „gemischt“ besetzten Programmkommissionen beim Bundesvorstand konnten vorab Kompromißchancen gründlich ausgelotet werden. Manche Kontroverse verkümmerte auf diesem Wege zum kleinen Änderungsantrag. Durchweg heißt der Antragsteller der wichtigen Programmteile in Mannheim: Bundesvorstand. So auch beim Wirtschafts- und Ökologieteil, der nach übereinstimmender Meinung den Wahlkampfschwerpunkt beschreibt. Die linke „Globalalternative“ zum Wirtschaftsprogramm überlebte nur wenige Wochen, dann verlegten sich die linken Kritiker auf einzelne Änderungsanträge.

Das Kapitel „Ökologisch wirtschaften“ weist bei den Ökosteuern, dem Herzstück eines künftigen rot-grünen Reformprojekts, die erste Kontroverse aus. Die Bundesvorstandsmehrheit geht vom komplexen Doppelschritt aus: „Weil nicht der Faktor Arbeit, sondern der Faktor Rohstoffe knapp ist, wollen wir die Abgabenlast der menschlichen Arbeitskraft senken, während Energie- und Ressourcengebrauch teurer werden.“ Die Bundesvorstandsminderheit formuliert streng: „Dagegen wollen wir durch eine ökologische Steuerreform angehen: Wer die Umwelt schädigt, soll zahlen, wer sie bewahren hilft, soll gewinnen.“ Ein unüberbrückbarer Streit ist das aber sowenig wie der klassische grüne Konflikt um das Tempo des Atomausstiegs. „Höchstens ein bis zwei Jahre“ wollen die einen, während die anderen, vermutlich realitätsnäher, die Fristen offenlassen. Bei den Hakeleien um die Höhe der anvisierten Grundsicherung oder um den Lohnausgleich für die geforderten „weitreichenden“ Arbeitszeitverkürzungen wird am Ende niemand hoch pokern. Denn daß soziale Wünsche und finanzielle Möglichkeiten einer Volkswirtschaft in der Krise durchgerechnet werden müssen, ist mittlerweile auch bei den Grünen angekommen.

Streit aber in der Außenpolitik? Hier dürfte es dramatischer werden. Unversehens war die Partei im letzten Herbst in den sogenannten „Bosnien“-Parteitag hineingeschlittert, auf dem nach allen Regeln grünen Grundsatzstreits am Ende Sieger und Verlierer besichtigt werden konnten. Gegen die passiv agierenden Realos um Fischer und prominente Ostdeutsche – beispielsweise gegen Bundessprecherin Marianne Birthler – setzte sich damals die pazifistische Grundsatztreue durch, inklusive der Forderung nach Abschaffung der Bundeswehr. Der erste Entwurf des Bundesvorstands zum Wahlprogramm folgte diesem Diskussionsstand, für Realos und die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten in nicht akzeptabler Weise.

Dieser Antrag wurde zwar verändert. „Um nicht in die Falle verkürzter Wahrnehmung zu geraten“, wie Ludger Volmer sagt, tatsächlich auch unter dem Druck der Realos, heißt es nun milder: „nicht von heute auf morgen“ sei die Auflösung der Bundeswehr erreichbar. Gefordert wird ein kollektives europäisches Sicherheitssystem, in das die Nato aufzulösen sei. Der Weg zu einer sicherheitspolitischen Perspektive in Europa könne die Nato nicht ausklammern, heißt es dagegen in einem Antrag der Hamburger Reala Krista Sager. Offenbar wollen die Realos in diesem Punkt die Kontroverse wagen.

Doch der richtige Krach könnte sich auch auf ein anderes Feld verlegen, die Einwanderungspolitik. Noch einmal wird es um „offene Grenzen“ und Einwanderungsgesetze gehen.

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