: Außer den Freunden niemand
Aus schwäbischen Kellern ins Obergeschoß der Akademie der Künste: In der Bobrowski-Ausstellung des Literaturarchivs Marbach kann man sich mit echten Dichtern verbinden lassen! ■ Von Caroline Roeder
Waren das noch Zeiten, als Heiratsannoncen mit „Lieben Sie Bobrowski?“ überschrieben waren. Am 29.September 1967 inseriert eine cand. phil. unter der Rubrik „Heiraten“ in der Zeit. Nach der Bitte um Bildzuschrift folgt: „und suchen Sie außerdem bei ,ihr‘ Geschmack, Sensibilität und Interesse für Ihren Beruf?“
Die Dame ist konversationsfähig – wenn auch etwas extravagant mit ihrem Faible für einen ostdeutschen Lyriker. Leider sind die Zuschriften oder gar die danach erfolgte Eheschließung nicht dokumentiert. Das Literaturarchiv Marbach, sonst um Genauigkeiten bemüht, hat hier, seien wir ehrlich, geschludert.
Immerhin ist die Bobrowski-Ausstellung, die das Archiv ausgerichtet hat, jetzt in einem großen Raum im Obergeschoß der Akademie der Künste zu sehen. Von Mai bis Oktober vergangenen Jahres waren die Exponate – Briefe, Buchausgaben, zahlreiche Fotografien und Bilder – in Marbach am Neckar ausgestellt; nach Berlin werden sie wieder in schwäbischen Kellern verschwinden – was daran liegt, daß der Nachlaß des 1967 gestorbenen Autors nach der Maueröffnung dem Archiv überlassen wurde.
Alles ist wohl verwahrt in Vitrinen – und doch stellt sich nicht der staubige Muff so vieler Literaturausstellungen ein. Die Konzeption ist großzügig. Von der Decke hängen frei in den Raum Leinwände mit einzelnen Gedichten des Autors, die vielen Abbildungen lockern den Eindruck von Vitrinengräbern auf. Lachend sitzt ein Mann in einer Ecke des Raumes, einen Telefonhörer am Ohr: kein Aufsichtspersonal am Hausapparat, sondern ein Besucher, wie sich herausstellt. Der Autor selbst ist hier zu hören; mittels digitaler Technik kann man eine Nummer drücken und zwischen Lyrik, Erzählung und einem Interview auswählen. Am anderen Ende der Leitung spricht dann der eloquente Bobrowski, einer der wenigen Autoren, die ihr Werk nicht im Eigenvortrag demontierten.
Glücklicherweise wird in der Akademie der Künste gar nicht erst versucht, den „ganzen Bobrowski“ zu präsentieren. Eine Auswahl, einige wichtige Stationen seines Lebens und seines Werkes werden kapitelweise vorgestellt. Eines davon: „Sarmatien“. Bobrowski ist dieser Begriff geographische Chiffre für die deutsche Aggression gegenüber den östlichen Nachbarn. In seinen Gedichten zeichnet er diese Landschaften ohne Nostalgie nach. Für den aus Tilsit stammenden Autor bleibt das Verhältnis zum Osten, zwischen Deutschen und Juden, bestimmendes Thema.
Suspekt war dies in einer DDR, in der der Sozialismus zu marschieren hatte – Bobrowski paßte so recht nicht in die übliche antifaschistische Literatur. Und nicht nur die „schülerfressende Autorität Bert Brechts“, wie Kipphard einmal formulierte, verhinderte die Anerkennung. Mißtrauisch untersuchte man seine Werke auf verborgene Neigungen zur „Dekadenz“. Und tatsächlich gehörte Bobrowski nicht zu den DDR-Autoren, die Hammer auf Sichel reimten. Anerkennung und Ehrungen, wie den Preis der Gruppe47, erhielt er vorerst nur aus dem Westen. Trotzdem blieb er in Ostberlin, was ihm einen Platz zwischen allen Stühlen sicherte. Bobrowskis Geschichte ist mit Geschichte und Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten verwoben: „Stunde Null“ im Westen, der „Aufbruch“ im Osten, die Debatten der Gruppe47, die sogenannte Dekadenzdiskussion (der zur Ausstellung erschienene Katalog ist übrigens wie ein Kompendium dazu angelegt. Auf über achthundert Seiten sind Briefe und Texte dokumentiert – keinesfalls nur eine Angelegenheit für Literaturwissenschaftler, sondern eine Einladung zum Schmökern).
„Sehen möchte ich außer den Freunden niemand“ – der Titel eines weiteren Kapitels in Bobrowskis Leben. Es geht einher mit dem Schweigen, in das er sich in den sechziger Jahren zurückzog. Intensiv hat er in Freundschaften gelebt und sie gepflegt. Die ausgestellten Arbeiten von Christoph Meckel oder von Günter Bruno Fuchs, allesamt eine freundschaftliche Hommage an den Autor, geben ein Bild davon.
Kehrt man noch mal zu einem Telefonat mit Bobrowski zurück und wählt dabei seine Erzählung „De homine publico tractatus“, so hört man aus dem Text von 1964 eine Seelenverwandtschaft mit dem Freund G.B. Fuchs sprechen: „In Allenburg oder auch nicht in Allenburg gab es ein Ehepaar, er schielte, sie schielte – sie haben sich im Leben nie gesehen. Sind zusammengeblieben, über die bösen Zeiten vierzehn/achtzehn, und zusammen gestorben vierundzwanzig. Das meine ich.“
Ob das die cand. phil. auch gelesen hat?
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 (Moabit), Di.-So. 10-19 Uhr, verlängert bis 13.3.
Johannes Bobrowski oder Landschaft mit Leuten. Marbacher Katalog 46, 832 S., DM 48.-
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