Mit Steuern steuern Männer fast alles

■ Ein Gespräch mit Gisela Frick, Vorsitzende der Steuerrechtskommission im Deutschen Juristinnenbund, über den Staat als pädagogische Anstalt und seinen diskreten patriarchalen Helfer: das Steuergeld

taz: Frau Dr. Frick, diskriminiert das Steuerrecht Frauen?

Gisela Frick: Grundsätzlich natürlich nicht — denn das Steuerrecht macht keine Geschlechtsunterschiede. In der sozialen Wirklichkeit aber schon, denn es gibt viele Bestimmungen, die sich für Frauen nachteilig auswirken.

Zum Beispiel?

Da ist zunächst das Ehegattensplitting zu nennen: Bei Eheleuten – und zwar unabhängig davon, ob es auch Kinder gibt – werden beide Einkommen addiert und dann geteilt; dieses gemeinsame Einkommen wird dann nach der Grundtabelle besteuert. Wenn also der Mann 100.000 DM verdient und seine Frau nichts, wird das Paar insgesamt begünstigt, denn unser Steuersatz ist bekanntermaßen progressiv.

Die ursprüngliche Begründung für ein solches Steuerrecht war doch die Annahme, daß aus einer Ehe Kinder folgen – woran der Staat ja ein Interesse hat?

Ja, und diese Annahme war in den späten 50er Jahren, als das Steuerrecht in dieser Form entwickelt wurde, auch berechtigt. Ehe und Familie sind ja auch in einem Grundgesetzartikel gemeinsam geschützt; eine Ehe galt als Vorläuferin der Familie. Das Bundesverfassungsgericht hat die vorherige Steuerregelung in den 50er Jahren als verfassungswidrig erklärt, weil sie Ehen steuerlich benachteiligte. Neben dem Ehegattensplitting hat das Bundesverfassungsgericht 1958 aber auch andere Optionen angeboten, beispielsweise auf der Grundlage von Steuerfreibeträgen für das Existenzminimum.

Also hat eine ursprüngliche emanzipatorische Regelung nun entgegengesetzte Wirkung?

Ja. Nach dem Stichwort „mit Steuern steuern“ wird jetzt massiv die Einverdienerehe subventioniert – und zwar, wie schon gesagt, ohne Rücksicht auf Kinder und ohne den ehelich vereinbarten Güterstand. Selbst wenn also bei einer späteren Scheidung kein Zugewinnnausgleich geleistet wird – also die Ehe nicht mehr zur Versorgung des Partners dient und so den Staat entlastet –, findet das Ehegattensplitting Anwendung.

Der Staat prämiert also die Hausfrauenehe ohne Kind.

Genau. Die nächstgünstige Form ist die Einverdienerehe mit Kindern; ganz schlecht werden steuerlich unverheiratete Paare mit Kindern oder auch Alleinerziehende behandelt. Der Kinderfreibetrag liegt bei 4104 DM im Jahr, davon soll ein Kind wohnen können, ernährt und gekleidet sein – das reicht natürlich bei weitem nicht aus, auch nicht mit Kindergeld. Andererseits können Sie als Unverheiratete mit Kindern Kinderbetreuungskosten geltend machen, auch wenn Sie als Paar einen Haushalt betreiben, während der Staat davon ausgeht, daß solche Kosten für Verheiratete nicht entstehen. Wenn ein Ehepaar trotzdem Kinderbetreuungskosten geltend machen will, argumentiert der Bundesfinanzhof damit, daß bei berufstätigen Ehepaaren solche Mehrkosten wegen des höheren gemeinsamen Einkommens individuell getragen werden könnten. Diese Begründung ist aber unsystematisch: Übertragen auf andere Einkommensarten und -situationen würde das bedeuten, daß man einer gut verdienenden Unternehmer vorwirft, er hätte es nicht nötig zu arbeiten und könnte deshalb die Gehaltskosten seiner Sekretärin nicht als Betriebskosten von der Steuer absetzen... Oder andererseits: bei seinem hohen Einkommen sei ihm zumutbar, seine Angestellten ohne Steuererleichterung davon zu bezahlen.

Nun ja, Ehen, bei denen auch die Frau arbeitet, liegen wohl nicht im Interesse der Wirtschaft... Das Steuerrecht wäre aber relativ einfach gerechter zu gestalten?

Ja, der Ansatzpunkt der steuerlichen Begünstigung müßte von der Ehe zu Kindern verschoben werden. Es geht nicht darum, Menschen ohne Kinder steuerlich zu „bestrafen“, wie Frau Rönsch das vorschlug, denn man kann niemandem einen individuellen Vorwurf daraus machen, daß er keine Kinder hat. Das Steuerrecht muß aber die finanziellen Belastungen im Auge haben, und die sind bei Kindern nicht zu bestreiten. Würde man diese Belastungen der Erziehenden steuerlich realistisch berücksichtigen, wären die derzeitigen Ungerechtigkeiten automatisch beseitigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1990 das derzeitige Steuerrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Gemütlichkeit des Parlaments, was Änderungen betrifft, hat vermutlich damit zu tun, daß bei den dort Tätigen – 80 Prozent Nichtfrauen – die Hausfrauenehe üblich ist?

Nun, das Bundesverfassungsgericht hat leider nicht entschieden, daß das Ehegattensplitting verfassungswidrig ist – sondern nur, daß die Berücksichtigung der Kinder- und auch der eigenen Grundfreibeträge für die Steuerpflichtigen selbst verfassungswidrig niedrig ist. Wenn man das jetzt auf die verfassungsgerichtlich gebotene Höhe setzen will, dann kostet das nach Schätzungen etwa 45 Milliarden DM im Jahr. Das können wir uns derzeit nicht erlauben, also ist Umschichtung gefragt. Eine Aufhebung des Ehegattensplittings in der derzeitigen Form brächte ca. 30 Milliarden, eine zweite Möglichkeit: das jetzige „Gießkannenkindergeld“ einzusetzen, um dann in einer steuerlich richtigen Weise Unterhalt an Ehegatten und Kinder zu ermöglichen. Außerdem müßten natürlich Kinderbetreuungskosten steuerlich anerkannt werden: der Edukationseffekt des derzeitigen Systems – daß Arbeit von Frauen mit Kindern sich kaum lohnt, weil die Kinderbetreuung so teuer ist – ist aber natürlich gewollt. Sowohl vom Arbeitsmarkt als auch von unseren männlichen Entscheidungsträgern, die von der Hausfrauenehe natürlich finanziell profitieren.

Die Fragen stellte Elke Schmitter.

Dr. Gisela Frick ist Juristin und Professorin an der Fachhochschule für Finanzen in Baden-Württemberg.