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Atom-TÜV im Zwielicht

■ Kieler Ministerium erhebt Vorwürfe gegen Atom-TÜV / TÜV-Mitarbeiter: „Manipulationen“ Von M. Carini

Hat der TÜV-Niedersachsen/Sachsen-Anhalt bei der Beurteilung von Sicherheitsrisiken in Atommeilern gravierende Fehler gemacht? Das jedenfalls behauptet der ehemalige TÜV- Mitarbeiter Dr. Hartmut Bender. Benders Vorwürfe: Es habe eine zu geringe Trennung zwischen den TÜV-GutachterInnen und den Betreibern von Atomanlagen gegeben, Minderheitspositionen zu Sicherheitsfragen seien hausintern unter den Teppich gekehrt worden.

Die Atomaufsichtsbehörden in Kiel und Hannover wollen die Vorwürfe „intensiv prüfen“. Vorläufig wollen beide Ministerien im Atombereich „keine sicherheitsrelevanten Aufträge an den TÜV-Hannover mehr vergeben“.

In seinem Bericht kritisiert Bender, daß bei der Sicherheitsprüfung des Atomkraftwerks Emsland 1988 zwei Ingenieure des Reaktor-Erbauers „Siemens/KWU“ ein Büro in der TÜV-Zentrale bezogen und sich in das „laufende Prüfgeschäft eingemischt“ hätten. Helmut Helmers, Leiter der Hauptabteilung Energietechnik beim TÜV-Hannover, hingegen betont: „Eine Einmischung hat es nie gegeben“. Nur „zur Verfahrensbeschleunigung“ habe man die Siemens-Mitarbeiter beim TÜV untergebracht, da im Rahmen des Prüfverfahrens zahlreiche Nachfragen an den Erbauer notwendig gewesen wären.

Ein anderer Vorwurf: Bei der Berechnung von möglicher Materialermüdung bei den „Volumenausgleichsleitungen“ des AKW Brokdorf habe sich der TÜV verrechnet und sei trotz Benders Warnungen zu dem falschen Ergebnis gekommen, daß die Sicherheit in diesem Bereich „nicht nachgewiesen ist“.

Der Sprecher des Kieler Energieministeriums, Klaus Kramer, wirft dem TÜV vor, daß seine Fehlanalyse fast dazu geführt hätte, den Reaktor im Januar 1992 vorläufig stillzulegen, was das Ministerium gegenüber der Betreiberin „PreußenElektra in eine schadensersatzpflichtige Position gebracht hätte“. Helmut Helmers hält dagegen, daß „der Reaktor trotz unserer damaligen Bedenken hätte vorläufig weiterbetrieben werden können“. Von Schadensersatz könne „deshalb keine Rede“ sein. Auch sei der Vorwurf, innerhalb des TÜVs würden Minderheitenmeinungen unter den Tisch gekehrt, „aus der Luft gegriffen“. Helmers: „Abweichende Auffassungen einzelner Mitarbeiter werden bei uns grundsätzlich im Abschlußbericht dargestellt.“

Daß dies aber nicht immer so ist, belegen die Aussagen eines beim TÜV-Norddeutschland im Bereich der Überprüfung von Atomanlagen tätigen Mitarbeiters gegenüber der taz. Besonders in den achtziger Jahren seien danach bei der Hamburger TÜV-Filiale „atomkritische Prüfungsergebnisse“ nicht besonders gefragt“ gewesen. Oft seien „Prüfungen nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgenommen“ worden, bei unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der TÜVs sei in den Gutachten „oft nur eine Position aufgetaucht“. Manipulation also? Der TÜV-Bedienstete: „Das kann man so sehen“.

Die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums, Barbara Mussack, kritisiert „die Monopolstellung des TÜV als Prüfungsinstanz“ im Atombereich: „Wir brauchen eine größere Vielfalt von Gutachtern“. Und Umweltministerin Monika Griefahn denkt nach den Bender-Vorwürfen gar nach, „ob der TÜV-Hannover überhaupt weiterbestehen kann“.

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