: Blitzer bieten Arischen Brüdern Paroli
In Oslo schlagen Rassisten und Anarchisten immer hefiger aufeinander ein / So umstritten die Mittel sind: Der norwegische Verfassungsschutz reagiert erstmals auf die Gefahr von rechts ■ Aus Oslo Reinhard Wolff
Oslo, Pilestrede 30 C. Eine Hauswand schmücken Wandbilder. Darunter eine große Faust, die ein Hakenkreuz zertrümmert. Der Kampf gegen faschistische und rassistische Gruppierungen ist seit einigen Jahren ein zentraler Teil der Aktivitäten des anarchistischen Milieus der norwegischen Hauptstadt. Hier ist sein Sammelpunkt und sein Symbol: Das Blitz-Haus, Anfang der 80er Jahre nur eines von vielen besetzten Häusern in Oslo, ist heute das letzte und einzige. Von den Behörden wird es toleriert als Treffpunkt des „Blitz- Milieus“ – auf diese Weise hat es auch die Polizei besser im Griff.
Der harte Kern der sogenannten BlitzerInnen besteht nur aus einer Handvoll Leute, unter denen noch immer Stein Lillevolden, Aktivist seit der ersten Hausbesetzerwelle, ein ungekrönter König ist. Die jüngsten BlitzerInnen sind erst 13 oder 14 Jahre alt. Wer sich über die aktuellen Aktivitäten des Blitz- Milieus informieren will, kann sich die neueste Smorsyra („Buttersäure“) kaufen. Dort werden unter anderem die führenden Gewalttäter der militant-tiefbraunen Szene der Hauptstadt mit Bild und Namen steckbrieflich bekanntgemacht. Die LeserInnen werden analog zu der im Kampf gegen die Rassisten aufgestellten Parole „Die Schweine fertigmachen!“ aufgefordert, ein Kreuz durch die Bilder derjenigen zu machen, die man „fertiggemacht“ hat.
Die Faschisten schlagen mit gleichen Mitteln zu. „Pöbel, Feiglinge, Geschmeiß, die in einem Gratishaus rumsauen“ sind die BlitzerInnen in den braunen Publikationen. Plakate mit dem Kopf von Stein Lillevolden dienen als Zielscheibe fürs Pistolenschießen. 100 Punkte für den, der die tödlich verwundbare Stelle an der Schläfe trifft. Die ultrarechten „Arischen Brüder“ rühmen sich auch stolz ihrer richtigen Waffen von Pistolen bis zum Automatikgewehr AG 3 des norwegischen Heers. Ihr Sprecher Fredrik Pedersen: „Wir wollen alle Ausländer aus Norwegen und ganz Skandinavien verjagen. Dazu brauchen wir auch Waffen.“ Selbst nennen sie sich „Patrioten“, wollen keine Neofaschisten sein: „Das Hakenkreuz soll nur provozieren.“
„Jedem, der sichtbar ein Hakenkreuz trägt, muß handgreiflich klargemacht werden, daß dies in Oslo nicht geht“, lautet das Motto in der Smorsyra: „Die einzig erfolgversprechende Methode, es den Rassisten und Faschisten auf der Straße zu zeigen, ist, sie auch physisch zu treffen.“ Nach diesem Motto wird seit Monaten gehandelt. Zum Teil waren die Blitz-Aktionen so gewaltsam, daß die Unterstützung auch wohlwollender Medien und linker Gruppen deutlich nachgelassen hat. So, als man der stellvertretenden Polizeichefin von Oslo, Ellen Holager Andenaes, Gartenzaun und Vorgarten platt machte, nachdem diese angeordnet hatte, einige der Fässer, die als Barrikaden das Blitz-Haus vor Angriffen schützen sollen, mit einem Kran zu entfernen. Die sozialdemokratische Rathausfraktion drohte gar eine Schließung des Blitz-Hauses an.
Diskussionen über den Einsatz von Gewalt gibt es auch unter den Blitz-AktivistInnen selbst. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen „Altgedienten“, die zu Vorsicht raten, und jüngeren BlitzerInnen. Heftig umstritten war beispielsweise ein körperlicher Angriff auf den dänischen Rechtspopulisten Mogens Glistrup bei einem kürzlichen Auftritt in Oslo. Trifft man in Oslos Zentrum auf rassistische Parolen grölende Skinheads mit Lillevoldens Kopf als Zielscheibe auf dem T-Shirt, fällt es allerdings schwer, den BlitzerInnen mehr Zurückhaltung zu empfehlen. Noch nie in der Nachkriegszeit konnte sich Rassismus in Oslo so ungestört ausbreiten wie jetzt. Die Väter und Großväter, die in der „Nationalen Sammlung“ mit Hitlers Gefolgsleuten kollaborierten, erwarteten nach dem Krieg Landesverratsprozesse. Die Söhne dürfen offen in „Zorn 88“ (88 steht für den achten Buchstaben im Alphabet: HH, Heil Hitler) mitarbeiten und ungestört den Radiosender „Nite Rocket“ betreiben.
Verwunderlich, daß die BlitzerInnen sich für diesen Sender und andere ultrarechte Adressen interessieren? Eine beinahe allmontägliche Meldung: „Drei Jugendliche aus dem Blitz-Milieu wurden wegen Verdachts der Körperverletzung und Sachbeschädigung festgenommen. Sie waren bei einem Angriff auf eine Gruppe Ultrarechter in der Bierstube Maria von Trapps beteiligt. Die Blitzer drangen in der Nacht zum Sonntag gegen 2.30 Uhr mit Knüppeln und anderen Schlagwaffen ein, worauf es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kam.“ Es war nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal, daß in der „Trappa“, einem traditionellen Treffpunkt der Ultrarechten, das Mobiliar zu Kleinholz gemacht wurde.
Daß dies nicht unbedingt die sinnvollste Art und Weise ist, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, unterschreiben auch viele BlitzerInnen: Aber sollte man sie einfach gewähren lassen? Oder, Zitat Smorsyra: „Sie daran zu hindern, sich frei auf der Straße in ihrer Kluft bewegen zu können, ist der erste Schritt. Mit zahlenmäßiger Übermacht ihre öffentlich angekündigten Treffen aufzumischen, eine Selbstverständlichkeit.“ Die These, die BlitzerInnen würden rechtsextreme Gewalt eher provozieren, lehnt auch der Soziologe Tore Bjorgo ab: „Die Rechtsextremen rüsten ganz klar auf. Sie haben Signale aus Deutschland und Schweden bekommen: Wenn ihr in unserer ,guten‘ Gesellschaft dabeisein wollt, müßt ihr beweisen, was ihr könnt. Im Klartext heißt das: Gewalt und Terror.“ Die 25 bis 30 rechtsradikalen Organisationen mit ihren 2.000 bis 3.000 Mitgliedern sind seit ein bis zwei Jahren das hauptsächliche Observationsobjekt der Überwachungspolizei, des norwegischen Gegenstücks zum Verfassungsschutz, geworden. „Die Linke“, so Überwachungspolizeichef Hans Olav Ostgaard, „macht uns keine Kopfschmerzen. Aber die Entwicklung der extremen Rechten sehen wir mit großer Sorge, gerade wegen der internationalen Kontakte.“ Und der Verfassungsschützer Iver Frigaard forderte die Polizei auf, nicht im Blitz- Milieu ihren Feind zu sehen – und das, nachdem seit Ende des Zweiten Weltkrieges ausschließlich linke und anarchistische Gruppen zum Objekt des Verfassungsschutzes wurden.
Mag den BlitzerInnen der verfassungsschützerische Lorbeer auch peinlich sein und kann man hinter manche ihrer Aktionen auch mehr als ein Fragezeichen setzen: Ihre Provokationen haben das Scheinwerferlicht in die rechte Ecke gelenkt. Erstmals wird in Norwegen jetzt ernsthaft über das Verbot rechtsextremer und rassistischer Organisationen diskutiert. Und auch die Polizei geht gezielter gegen Rechts vor.
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