: Tarifkompromiß im öffentlichen Dienst
■ Zwei Prozent mehr Lohn bei mehreren Nullmonaten / Zusätzliche Urlaubstage gerettet / Niedersachsens Metaller stimmen Tarifabschluß zu
Stuttgart (AP/dpa/taz) – Der Tarifabschluß für die rund 3,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist perfekt. Am gestrigen Abend stimmte die große Tarifkommission der ÖTV mit großer Mehrheit dem Kompromißpaket zu, das ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies und Innenminister Manfred Kanther (CDU) nach einem dreitägigen Verhandlungsmarathon geschnürt hatten. Danach steigen die Löhne und Gehälter um zwei Prozent – und zwar von Juli an für die unteren Lohngruppen, für die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen ab 1. September. Für die ersten Monate des Jahres gibt es keine Lohnerhöhung. Der neue Tarifvertrag, der rückwirkend zum 1. Januar in Kraft tritt, soll 15 Monate gelten.
Das Paket umfaßt außerdem einen tarifvertraglichen Anspruch auf Teilzeitarbeit, allerdings ohne garantiertes Rückkehrrecht auf einen Vollzeitarbeitsplatz. Die von den Arbeitgebern geforderte Streichung von zwei zusätzlichen freien Tagen konnte die Gewerkschaft erfolgreich abwehren. Auch die umstrittene Lohnfortzahlung für Angestellte im Krankheitsfall, die 26 Wochen beträgt, bleibt erhalten; für neueingestellte Mitarbeiter soll allerdings wie in der Privatwirtschaft künftig eine Frist von sechs Wochen gelten. Das 13. Monatseinkommen soll für drei Jahre eingefroren werden.
Der Tarifvertrag, der auch für die Postler und die Bahnmitarbeiter übernommen wird, stieß bei der Gewerkschaft auf breite Zustimmung. Wie bei jedem ordentlichen Tauschhandel schienen sich auch die Arbeitgeber mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Die Löcher in den öffentlichen Haushaltskassen würden nicht noch weiter vergrößert, so eine Sprecherin, darauf sei es den Arbeitgebern schließlich angekommen. Ein Sparpotential liegt auch in der vereinbarten Flexibilisierung der Überstunden, wo der Ausgleichszeitraum von bisher bis zu acht Wochen auf sechs Monate verlängert wurde. Überstunden müssen damit nicht sofort bezahlt, sondern können über einen längeren Zeitraum abgebummelt werden.
Für die 1,25 Millionen Beschäftigten in Ostdeutschland wird es keine Unterbrechung bei der Lohnanpassung geben. Die Vergütungen sollen nach dem Angebot der Arbeitgeber von derzeit 80 Prozent in diesem und im kommenden Jahr um jeweils zwei Prozent an das Westniveau angeglichen werden. Verpflichtende Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung gibt es jedoch im Osten nicht, obwohl die Arbeitgeber dort den Personalüberhang von rund 30 Prozent lieber heute als morgen abbauen würden. Erstmals sieht der Tarifvertrag auch Öffnungsklauseln vor, nach denen für einzelne Betriebe und Verwaltungen bis Ende 1995 eine Arbeitszeitverkürzung auf bis zu 32 Stunden für längstens drei Jahre vereinbart werden kann. Die ÖTV konnte auch hier zwei Besonderheiten durchsetzen: Ein gestaffelter Teillohnausgleich ist Voraussetzung, nur über die genaue Höhe muß noch Einvernehmen erzielt werden. Und anders als in der Chemie- und Metallindustrie wird diese Arbeitszeitverkürzung von regionalen Tarifvertragsparteien geschlossen.
Unterdessen haben die IG-Metall-Mitglieder in Niedersachsen dem Tarifabschluß für die westdeutsche Metall- und Elektroindustrie zugestimmt. In einer zweiten Urabstimmung sprachen sich 63,6 Prozent der Metaller für den ausgehandelten Tarifkompromiß aus. es
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