Nato-Gebirgsjäger nach Kirgistan?

Vor dem amerikanisch-russischen Außenministertreffen, das heute in Wladiwostok stattfindet, schüren nicht nur russische Nationalisten traditionelle Bedrohungsängste  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Einen Entwurf für das Verhältnis der beiden Weltmächte im 21.Jahrhundert – das erhoffen sich einige hohe Moskauer Amtsträger vom russisch-amerikanischen Außenministertreffen, welches heute in Wladiwostok stattfindet. Doch die Erwartungen der Russen gehen über das Machbare hinaus. Warren Christopher und Andrej Kosyrew werden zunächst einige Zeit brauchen, um alle Kleinig- und Kleinlichkeiten aufzuarbeiten, die das Verhältnis beider Staaten in den letzten drei Monaten belasteten. Das Hickhack mit diplomatischen Demarchen und Bloßstellungen weckt Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges. Zuerst enttarnten die Amerikaner den KGB-Spion Richard Ames in ihrer CIA-Zentrale. Dann wiesen sie den Abwehrchef der Russen aus Washington aus. Moskau schickte seinerseits einen Amerikaner nach Hause.

Die Eintrübung läßt sich nicht übersehen und hat Folgen: Der ehemalige US-Präsident Nixon besucht Moskau und trifft sich mit den gerade amnestierten Oktober- Putschisten. Präsident Jelzin ist verärgert und handelt sofort. Er und seine Regierung sagen Treffen mit Nixon ab, entziehen ihm Auto und Sicherheitskräfte.

Die Taktlosigkeit Nixons ist sicherlich nicht zufällig. Washington sendet ein Signal. In Wladiwostok wollen sie nun die „Risse“ im beidseitigen Verhältnis „reparieren“, meinten russische Diplomaten. Kosyrew nannte dagegen „Demokratie, Schutz der Menschenrechte und nationale Minderheitenrechte“ als Schwerpunkte der Gespräche. Konkret heißt das, Moskau wird seine Ansprüche gegenüber dem „nahen Ausland“, seinen ehemaligen Republiken, anmelden. Nicht zuletzt mit Berufung auf die 25 Millionen im Ausland lebenden Russen. Der Versuch der USA, eine entscheidendere Rolle im Konflikt zwischen Georgien und dem abtrünnigen Abchasien einzunehmen, stieß im Kreml nicht auf Gegenliebe.

Unterdessen nehmen die Bedrohungsängste der Russen immer größere Dimensionen an. Die ehemals liberale Zeitung Nesawissimaja Gaseta veröffentlichte letzte Woche an prominenter Stelle unter der Rubrik „Geopolitik“ einen Beitrag, der die USA offen einer Übervorteilung Rußlands bezichtigt. Als Belege werden Berichte aus der Westpresse verwendet, der eine sensationeller als der andere: Überlegungen der USA, die Küstenwache am kasachischen Ufer des Kaspischen Meeres zu übernehmen; Vorschläge von Nato- Emissären, in Kirgistan eine Gebirgsjägerdivision zu errichten; die Dislozierung von Blauhelmen in Abchasien bei gleichzeitigem Rückzug russischer Truppen hinter die russisch-georgische Grenze und Hilfestellungen der USA beim Aufbau der georgischen Armee. „Dies alles bestätigt“, so die Zeitung, „daß sich die USA unter dem Dach von Nato und UNO entschieden nach dem postsowjetischen Süden wenden, um Rußland aus dieser Region zu verdrängen.

Gründe für dieses Vorhaben gibt es nach Ansicht des Autors zahlreiche: einerseits sei es das direkte Interesse der USA an der Rohstoffausbeutung, andererseits wolle man Moskau von Rohstoffen abschneiden, die es nur in dieser Region gebe. Es wird sogar die Möglichkeit erwogen, USA und Nato könnten die Nutzung des militärischen Weltraumzentrums im kasachischen Baikonur anpeilen. Die USA werden gewarnt, sich auf diesem Terrain nicht weiter vorzuwagen. In Rußland könnten derartige Versuche die antiamerikanische Stimmung anheizen ...

Noch greifen derartige Vorstellungen über den Rahmen der russischen Politik hinaus. Allerdings hat der Berater Präsident Jelzins, Migranjan, vor kurzem Überlegungen angestellt, die in die gleiche Richtung wiesen. Das Verhältnis der beiden Mächte hat somit eine neue Qualität erreicht. Rußland meldet sich mit dem Anspruch zurück, als zweite und gleichberechtigte Supermacht anerkannt zu werden. Abgrenzung dient dem Kontur- und Machtgewinn. Zwar zählt Kosyrew nicht zu den Isolationisten nationalistischer oder kommunistischer Provenienz, die Rußland wieder abschotten möchten. Er sucht nach wie vor die Nähe des Westens. Nicht umsonst drängt er auf die Unterzeichnung der „Partnerschaft für Frieden“. Doch aus dem Atlantiker, der das Fahrwasser des russischen Imperialismus verlassen wollte, wurde, so scheint es, ein Protagonist eines „aufgeklärten Imperialismus“.

Die Atlantiker und Liberalen in Rußland wendeten sich enttäuscht von den USA ab. Sie hatten sich mehr Hilfe und Unterstützung beim Umbau des Landes erhofft. Der Ernüchterung folgt jetzt eine Phase traditioneller Rückbesinnung. Aufgeklärter Imperialismus bedeutet daher Rückeroberung „russischer Erde mit friedlichen Mitteln“, während man die „Partnerschaft“ eher als eine „kontroverse“ interpretiert. Rußland gehört dazu, aber mit seinen ureigenen Interessen, die es jederzeit vorbringen kann. Dieses Szenario läßt eine friedliche Lösung hegemonialer Ansprüche wesentlich profitabler erscheinen. Rußland wünscht sich, von internationalen Institutionen offiziell ein Mandat zu erhalten, um in den es umgebenden Krisenregionen die Konfliktregulation im eigenen Interesse zu lenken. Eigentlich müßten die Amerikaner Verständnis für das russische Anliegen aufbringen. Schließlich stammt die Monroe-Doktrin („Amerika den US-Amerikanern“) aus den USA. So etwas Ähnliches visiert Moskau nun auch an. Wenn die Russen in Wladiwostok sich mit dem beidseitigen Verhältnis im 21. Jahrhundert beschäftigen möchten, kann es eigentlich nur um diese Frage gehen.