: Die Sezuan-Maschine
„Brecht Bronnen Benn“: 20er-Jahre-Volksbühnen-Spektakel um Liebe und Kapital ■ Von Petra Kohse
Am Detail erkennt man das Konzept. Da ist beispielsweise das Kondom. Es befindet sich in einem Volksbühnenschächtelchen mit der Handlungsanweisung „Rein“ – „Raus“. Dann gibt es die Zigarettenpackung „Ost“ aus „Sezuan am Rosa-Luxemburg-Platz“. Beides erinnert einen noch zu Hause an den ersten theatralischen Eindruck des Abends: Isabella Parkinson steht als Hure Shen-Te aus Sezuan auf der großen Bühne und bietet sich zu Preisen des Hauses am Mikrofon feil: „Kaufen. Kaufen. Willst du mich kaufen? Ich mach's für achtzehn, ich mach's für zehn, ich mach's für fünf – aber nur für Studenten.“
Die Volksbühne hat gekreißt und am letzten Wochenende ein Spektakel ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, mit Namen „Brecht Bronnen Benn“. Der Panzerkreuzer am Rosa-Luxemburg-Platz steuerte dabei wieder scharf gegen den Kapitalismus, dem Gefühle nichts und Funktionalität alles bedeutet. Aus Berlins Theaterosten prinzipiell also nichts Neues, aber diesmal kam einiges so leicht daher, akkurat und spielerisch zugleich, zuweilen poetisch. Aufklärung ja, aber dabei mehr Sinnlichkeit als Theorie, mehr Kunst als purer Ausdruckswille. Zum Großteil jedenfalls.
Drei Inszenierungen wurden kompakt gezeigt, daneben gab es eben Kondome, Zigaretten, Videos, einen Boxkampf im Foyer, Würstchen vorm Grünen Salon, wie immer die Bar im Roten Salon und ein nachmitternächtliches Konzert. Im Großen Haus war Brechts „Guter Mensch von Sezuan“ in der Regie von Andreas Kriegenburg zu sehen. Am gleichen Ort und von gleicher Hand folgte danach ein tänzerisch-gestisches Gesellschaftsspiel mit eingestreuten Gedichten von Gottfried Benn. Und im dritten Stock „Exzesse“: Werner Tritzschler inszenierte Arnolt Bronnen.
Was Kriegenburg hervorragend kann, ist, Beziehungsmuster körperlich sichtbar zu machen. Schon in seiner „Othello“-Inszenierung haben sich die Figuren gegenseitig, geschultert, sich als Schlafunterlage benutzt, umhergeschleudert, einander im Gesicht herumgezogen. Ähnliches sieht man auch diesmal, aber konzentrierter und ohne Sperenzchen. Brechts drei Götter, die in Sezuan einen guten Menschen suchen und in der Hure Shen-Te finden, sind bei Kriegenburg Göttinnen (Gisela Morgen, Marga Platow, Rosemarie Bärhold), ältliche Weibsen in weißer Spitze und mit Häubchen, die anfänglich albern kichern. Im Laufe der Handlung, wenn sich die barmherzige Shen-Te aus ökonomischer Notwendigkeit in ihren rigorosen Vetter Shui-Ta verwandelt, vergeht ihnen das Lachen. Sie sinken immer mehr in sich zusammen, irgendwann sieht man fast nur noch ein Kleiderbündel an einer der grauen Wände, die Bert Neumann auf der Drehbühne zu mehreren deckenlosen, ineinandergreifenden Container-Gehäusen gruppiert hat. „Come together“ steht auf einer Wand. Auf einer anderen: „frei“. Später kommt ein „macht“ davor, am Ende die „Arbeit“.
Ein karger, müder Ort
Kriegenburgs Sezuan ist ein karger, ein müder Ort. Die Bewohner tragen graue Anzüge über individuellen Dessous und stoßen unentwegt Rauchwolken aus. Auch Shen-Te vertauscht ihr Funkenmariechen-Outfit mit dem Einheitsdress, wenn sie als Tabakfabrikant die schmarotzenden „Freunde“ zu ihren Arbeitssklaven macht.
Gesprochen wird knapp und monoton (gelegentlich akustisch schwer verständlich). Agiert wird abgezirkelt und gerne synchron – eine durchrhythmisierte und einsichtige Sezuan-Maschine, die manchmal anhält, für zauberhafte Momente, in denen die Figuren sich plötzlich und heftig einander zuwenden: Shen-Te und ihr Geliebter, ein Hallodri von einem Flieger (René Steinke), sitzen bei ihrer Hochzeit auf dem Boden und streicheln sich gegenseitig das Gesicht – eine Geste, die stets mit einer Ohrfeige endet und erneut zärtlich beginnt. Währenddessen erlöst sich die starre Hochzeitsgesellschaft unvermittelt in eine zeitgeraffte Foto-Session, alle gegen alle. Dann wieder Ruhe, die Maschine stampft weiter, gelegentlich unterbrochen von Musik der Flowerpornoes und Brechts entsprechend verrockten Sezuan-Liedertexten.
Isabella Parkinson spielt Shen-Te als sinnliches Naturkind. Gelegentlich etwas motzig, aber reinen Herzens, als Hure wie als Liebende. Selbst als kapitalistischer Vetter gibt sie sich nie fies, eher sportlich-dynamisch. Parkinson brilliert nicht in dieser Doppelrolle, aber trägt sie durchgehend. Manchmal hat sie auch sehr intensive Szenen, wie wenn sie als Vetter ihren untreuen Flieger anstellt, ihm bei Gelegenheit genüßlich zwischen die Beine faßt und sich dann schnell abwendet: mit männlicher Macht wäre zu bekommen, was der weiblichen Hingabe verweigert wird – eine Tragik, die Parkinson ganz klein zum Ausdruck bringt und die das eigentliche Thema dieser Inszenierung ist. Alles in allem ist das für Volksbühnenverhältnisse ungewohnt reduziert und klar.
Vor einer der Sezuan-Wände und ja auch als thematische Fortführung und Zuspitzung vollziehen sich zu späterer Stunde dann auch Kriegenburgs teilweise geradezu akrobatischen Geschlechtervariationen zu barocken Klängen oder Tangomusik und mit frühen Gedichten von Benn: „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch.“ Alit Aryani, Anna-Maria Dittrich-Sztolyka und Carolin Mylord werfen sich auf Peter Rene Lüdicke, Gerd Preusche, Torsten Ranft und Winfried Wagner, lassen sich von ihnen umherschleudern, klettern auf ihnen herum, springen sie an, werden durch den Raum gezerrt. Puppen, Accessoires, Bumerangs, Gummibänder an den Revers der Herrscher dieser Welt. Aber nicht unterzukriegen. Die Männer sprechen von Tod, Leichenhallen, zerstörten Körpern, die Frauen spielen ihnen die Liebe vor, im Sinne von Insistenz und Hingabe. Das ist häufig komisch choreographiert, manchmal gerade deswegen traurig, präzise ausgeführt, poetisch, anrührend.
Wallendes Jungblut
Reinen Herzens kann man das von Werner Tritzschlers Beitrag zum Spektakel um ökonomischen und zwischenmenschlichen Kapitalismus im 3.Stock nicht behaupten. Bronnens expressionistisches Jugenddrama „Exzesse“ zeigt Bankangestellte im Triebesleid. Zwei, die zueinander nicht kommen, nebenbei erotische Verwicklungen die Fülle, Todessehnsucht, Besessenheiten, Irrwitzigkeiten, Nichtssagendes, und jede Menge Pathos. Tritzschler und seine Bühnenbildnerin Barbara Steiner positionieren das Publikum auf einer schmalen Tribüne hoch oben, entlang der Längsseite des Raumes. Man blickt in einen Orgiengraben, von dem heraus man zuweilen auch angesprungen wird. Man ist Teil der kleinmütigen Welt, die das wallende Blut der Jugend buchhalterisch unterdrücken will. Das hat man dann schnell verstanden und muß noch zwei Stunden bleiben. Die da unten reißen sich die Kleider vom Leibe und die Fenster zum Rosa-Luxemburg-Platz auf, daß einem zumindest vor Kälte der Atem stockt.
Einen anderen Anlaß gab es nicht. Tritzschler hat dem durchgehend schwülstig-explosiven Ton des Textes kaum eine darstellerische Variation beigegeben. Manchmal ein Rückzug ins Private, das ist alles. Man kriegt alles übersatt. Kathrin Angerers naiver Charme als verliebte Hildegard beispielsweise ist bald dahin, wenn sie auf dem Rücken liegend einen sexuellen Traum minutenlang im Kinderton vor sich hinwimmern muß.
Auch Joachim Schweizer, der als – erotisch unbehelligter – Saufkumpan Max mit von der Partie ist, dehnt Alleinunterhaltereinlagen wie ein tirolerisches Zwiegespräch der Hände oder „Mann, bin ich besoffen“ deutlich über Gebühr. Ansonsten sind alle nur geil, keiner kriegt, was er will, und äugt deswegen durchaus auch nach dem eigenen oder des anderen Grab.
Am besten gelingt es noch Meral Yüzgülec, dem oktroyierten Pappkameradengejaule eine Figur abzutrotzen. Als Joki ist sie sehr kraftvoll und völlig unmaniriert einfach mannstoll. Schön daß sie bei dem abschließenden „Reise nach Jerusalem“-Spiel den letzten Stuhl erwischt. Ganz am Ende erschallt dann noch ein Aufruf gegen die Schlechtigkeit der Städte und „Oh Mensch“ und „Oh Erde“. Genug davon. Als Einzelinszenierung ist dies eine Zumutung, im Kontext des Spektakels war's gerade noch zu verkraften.
Nächste Aufführungen von „Der gute Mensch von Sezuan“: heute und am 31.3., 19 Uhr, von „Die Krone der Schöpfung...“: heute und am 31.3., 22 Uhr, von „Exzesse“: am 20. und 21.3, 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz („Exzesse“ im 3. Stock), Mitte.
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