: Mit der Bahn zu den „Berliner Badewannen“
■ Was Caspar David Friedrich, der Usedom-Express und eine Ferkeltaxe gemein haben / Die neue Bahn AG wirbt um Urlauberkunden und setzt auf staufreies Inselerlebnis
„Immer mehr Menschen in den hochentwickelten Industriegesellschaften verabschieden sich innerlich von der Philosophie des ,Schneller-Höher-Weiter‘. Sie spüren, daß dieser Lebensstil in eine Sackgasse führt.“ Heinz Möller hat für diese bemerkenswerten Worte seines Bahnchefs Heinz Dürr eine einfache Erklärung: „Vor dem Rügendamm“, sagt der gebürtige Küstler, „gibt's im Sommer 'ne Blechlawine von bis zu fünfzig Kilometern.“ Möller ist verantwortlich für den Bereich „Netz“ im „Nordostbereich“ der Bahn AG. Und das Netz wird immer dichter. Zum Fahrplanwechsel, verkündigt der „Trassenmanager“, wird es eine IC-Verbindung „Caspar David Friedrich“ von Berlin nach Rügen geben. Abfahrt vom Hauptbahnhof: 8.16 Uhr, Ankunft in Binz: Fünf vor Zwölf. Und wem der Sinn nach einem Tagesausflug steht, kann um 18.01 die Heimreise antreten und ab 21.40 wieder die lang ersehnte Berliner Luft genießen. „So schnell“, ist Heinz Möller überzeugt, „schaffen Sie das mit dem Auto nicht.“
Wer mit der Bahn allerdings nach Usedom möchte, darf die Mühen des Autoverkehrs nicht scheuen. Der „Usedom-Express“ endet fahrplanmäßig in Wolgast, dem Tor zur Insel auf dem Festland. Von da geht es mit dem Bus über die Straßenbrücke nach Zinnowitz und von dort mit der Bäderbahn der Insel, der „Ferkeltaxe“, nach Peenemünde, Ahlbeck oder Heringsdorf.
Bislang transportiert die Bahn etwa 10 Prozent der Usedom-Urlauber auf die Insel. „Früher war es einfacher nach Usedom zu kommen“, räumt Heinz Möller ein. Bereits Anfang der dreißiger Jahre waren die „Berliner Badewannen“ auf Usedom binnen zwei Stunden mit der Bahn zu erreichen. Anders als heute führte die Strecke dabei nicht über Wolgast, sondern über die damals größte Eisenbahn- Hubbrücke Europas bei Karnin auf direktem Wege nach Ahlbeck. Nach der Sprengung der Karniner Brücke gegen Ende des Zweiten Weltkriegs führen heute allerdings nur noch zwei Straßenbrücken auf die Insel. Der Verkehrskollaps vor und auf Usedom ist damit vorprogrammiert. 700.000 „Langzeiturlauber“ und drei Millionen Naherholungsgäste zieht es jährlich an den Strand zwischen Ahlbeck und Zinnowitz. Zwar kämpft eine Bürgerinitiative bereits seit 1990 um den Wiederaufbau der Eisenbahnbrücke, bislang jedoch ohne Erfolg. Weder die Bundesregierung noch die Bahn AG denken derzeit an eine konkrete Planung für den 500 Millionen teuren Brückenbau.
Daß eine schnelle Verbindung zu den Usedomer „Badewannen“ auch im Sinne der Berliner ist, das weiß die Bahn: Immerhin wirbt sie in einem Prospekt damit, daß die Fahrzeit von Berlin Lichtenberg nach Wolgast-Fähre nur zwei Stunden betrage. Tatsächlich sind es zweidreiviertel Stunden. „Etwas übertrieben“ findet das auch Heinz Möller und verspricht, sich dafür einzusetzen, daß die Bahn entweder schneller fahre oder zumindest der Fahrplan auf dem Prospekt erneuert werde.
Wer es heute eilig hat, sich in die Ostseewogen zu werfen, dem bleibt allerdings nur der Flieger von Tempelhof nach Güttin auf Rügen oder Heringsdorf. Wer freilich wie die Bahn AG meint, daß der Lebensstil des „Schneller-Höher-Weiter“ tatsächlich „in eine Sackgasse führt“, der setze sich in den „Zug der Zeit“. Der „mentale Wandel“, den die Bahn AG auf ihrem „Weg von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen“ verspricht, hat immerhin schon die vorpommersche Küste erreicht: Die Autoreisezüge nach Rügen werden in diesem Sommer erstmals eingestellt. Statt dessen gibt es beim IC von Köln nach Binz einen zusätzlichen Gepäckwagen: zur Beförderung von Fahrrädern. Uwe Rada
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