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Streit um Hamburgs Verkehr

■ Handelskammer attackiert (geheime) neue städtische Verkehrsplanung / Baubehörde brütet über Hamburgs Verkehrszukunft Von Florian Marten

“Wir möchten sehr darum bitten, die Verkehrsentwicklungsplanung nicht von vornherein zur reinen Farce werden zu lassen.“

Mit herablassendem Ton und unverhohlener Schärfe kommentiert die Hamburger Handelskammer den Inhalt eines kleinen Papierbergs, den die Baubehörde seit einigen Wochen zwecks eines „projektbegleitenden Kommunikationsprozesses“ in die Umlaufbahn von „Verbänden und interessierter Öffentlichkeit“ geschossen hat. Die Rede ist vom Konzept einer „Integrativen Verkehrsentwicklung in Hamburg und Region“, dem Versuch, nach jahrelanger Planungspause ein Verkehrskonzept für Hamburg vorzulegen.

Viele Monate lang haben die Verkehrsplaner der Baubehörde und eine Gutachter-Crew der Beratungsunternehmen Prognos und Kessel+Partner an Phase 1 ihres Gemeinschaftswerkes gebosselt. „Jetzt“, so jubelt die Baubehörde in einem internen Rundschreiben, „ist die Untersuchungsphase von Grundlagen und Basisprognosen weitgehend abgeschlossen.“ In einem großen Ratschlag mit Behörden und Lobbys wird nun an Phase 2, der Entwicklung von „Zukunftsbildern zum künftigen Verkehrsgeschehen“ gewerkelt.

Damit die handverlesenen Mitdiskutanten (Handelskammer, Handwerkskammer, DGB, DAG, ADAC, VCD) überhaupt anbissen, mußte die Baubehörde sich verkehrspolitisch erst ein wenig outen: Zum Vorschein kamen eine „Basisprognose“ und zwei „Szenarien“. Die Basisprognose rechnet die aktuelle Verkehrsentwicklung (Basisjahr 1990) auf das Jahr 2010 hoch. Ergebnis ist eine gigantische Blechlawine: Die Zahl aller Kfz-Fahrten soll nochmal um fast 20 Prozent zulegen.

Was also tun? Die beiden Szenarien, das „ÖPNV-freundliche“ Szenario A und das „wirtschaftsfreundliche“ Szenario B, legen, so die Gutachter, „die Bandbreite“ fest, in der sich die künftige städtische Verkehrspolitik bewegen kann. Der aktuelle Diskussions prozeß soll bei der Suche nach jenem Szenario C helfen, das, brav zwischen Menschen- und Wirtschaftsfreundlichkeit angesiedelt, tatsächlich realisiert werden kann.

Während Szenario A die verkehrspolitische Wundertüte weit öffnet (Verdreifachung des Benzinpreises, Stadtbahn, Quartiersbusse, Velorouten und Voscheraus Essentials – Park & Ride, Elbtunnel, Hafenerweiterung, Elbvertiefung), hält sich Szenario B strikt an Voscheraus Essentials und peppt diese mit Straßenbau (u.a. Schließung Ring 3) und Verteuerung des ÖPNV nochmals kräftig auf.

Doch schon diese plakative Gegenüberstellung erregt den nachhaltigen Zorn der Handelskammer: „Vor den sicherlich bedeutsamen Nebenzielen Menschen- und Stadtverträglichkeit“ sollte doch zuallerst klargemacht werden, „daß der eigentliche Zweck eines Verkehrsentwicklungskonzeptes darin besteht, die Verkehrsinfrastruktur quantitativ und qualitativ fortzuentwickeln.“ Es gehe schließlich um „ein Verkehrs- und nicht um ein Grünentwicklungskonzept o.ä. ...“ Wenn unter dem „Mäntelchen integrative Verkehrsplanung“ insgeheim an „eine Straßenbauvermeidungsstrategie“ gedacht sei, so die Kammer drohend, „wird das nicht hingenommen werden können“. Neben der „Vielzahl illusionärer Maßnahmen in Szenario A“, wie etwa des „nahverkehrspolitischen Nonsens, die Stadtbahn einzuführen“, erregt besonders eines die Kammer: „Es ist richtig, das Interesse der Menschen an die erste Stelle zu rücken. Nur ohne Lohn und Brot gleicht alles sonstige, was das Leben lebenswert macht, einem Scheck ohne Deckung.“ Man solle also, wenn man sich überhaupt auf das Szenario-Spielchen einlasse, Szenario B zur Grundlage jeder weiteren Diskussion machen.

Doch, selbst da fehlt der Kammer ein Haar in der Suppe. Die Planer haben doch glatt das wichtigste und vernünftigste Verkehrsprojekt vergessen: „Zum Netzausbau mit hoher Realisierungschance gehört der Bau einer Transrapidstrecke Hamburg-Berlin“.

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