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Wird die Verwaltungsreform durch zuviel Mitbestimmung verhindert?

■ Streitgespräch zwischen Innensenator Friedrich van Nispen (FDP) und dem Vorsitzenden des Gesamtpersonalrats, Gerhard Tilsner (ÖTV), über das bremische Personalvertretungsgesetz

taz: Herr van Nispen, gibt es im Bremer Öffentlichen Dienst zu viel Mitbestimmung?

Friedrich van Nispen: Selbstverständlich ist die FDP für Mitbestimmung, aber wir sind dafür, diese Mitbestimmung in eine vernünftige Form zu gießen; und in diesem Sinne beantworte ich Ihre Frage mit ja.

Herr Tilsner, warum braucht der Öffentliche Dienst mehr Mitbestimmung als Krupp Atlas oder Mercedes?

Gerhard Tilsner: Ihre Frage unterstellt, daß die Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst besser und intensiver ausgestaltet ist, als die Mitbestimmung im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes. Und das ist falsch.

Dann könnten Sie doch mit der FDP die Abschaffung eines eigenen Personalvertretungsgesetzes für den Öffentlichen Dienst und seine Ersetzung durch das Betriebsverfassungsgesetz fordern.

Tilsner: Wenn die Personalräte dann auch die wirtschaftliche Mitbestimmung bekommen würden, dann gerne. Dann entscheiden wir aber mit in Dingen, die dem Senat als gewählter Regierung vorbehalten sind.

In welcher Form fühlen Sie sich von der bremischen Mitbestimmungsrege-lung im PVG behindert?

van Nispen: Es gibt qualifizierte Senatoren und weniger qualifizierte, es gibt qualifizierte Amtsleiter und nicht so qualifizierte, und es gibt Personalräte, die ausgesprochen konstruktiv an der gemeinsamen Aufgabe mitwirken. Aber wenn Personalräte, aus welchen Motiven auch immer, eine sinnvolle Regelung nicht wollen, können sie sie nach dem Bremer PVG torpedieren. Denjenigen, die Übel wollen, ist ein Instrument dafür an die Hand gegeben. Und darin sehe ich das Versagen des Gesetzgebers.

Nennen Sie doch mal zwei konkrete Beispiele.

van Nispen: Ich habe zum Beispiel Schlichtung und Einigung erlebt zu der Frage, ob ein Mitarbeiter vom Raum A in den Raum B versetzt werden darf. Und dann geht der Streit los: Da wird ein Amtsleiter beschäftigt, da werden Mitarbeiter beschäftigt, da wird der Personalrat beschäftigt, da wird eine Schlichtung einberufen, da betraut man einen leibhaftigen Senator, und dann geht das womöglich noch in die Einigungsstelle und den Senat. Das ist wirklich absurd. Sowas muß vor Ort an einem Tisch entschieden werden, da muß der gesunde Menschenverstand walten.

Ein anderes Beispiel, Sie werden sich noch erinnern: staatlich chemische Untersuchungsanstalt – eine Einrichtung in einem Gebäude. Daneben ein kleines Gebäude der Landesmeßstelle für Radioaktivität, vier, fünf Mitarbeiter, auf drei Stellen abgeschmolzen. Nichts lag näher, als die Landesmeßstelle in die chemische Untersuchungsanstalt zu integrieren. Diese rational höchst nachvollziehbare Aktion hat den Senator für Gesundheit damals zwei Jahre gekostet. So etwas läßt sich kein Privatunternehmer bieten, Betriebsverfassungsgesetz hin oder her.

Tilsner: Aber sind ihre Beispiele nicht der beste Beweis dafür, daß die Probleme nicht am Gesetz liegen, sondern an der Frage, wie mit dem Gesetz umgegangen wird?

van Nispen: Nein, es liegt daran, daß dieses Gesetz ein so unsinniges, langwieriges und kompliziertes Verfahren für Querulanten erlaubt.

Tilsner: Der Vorschlag, diese Verfahren einfacher und schneller zu machen, kommt doch von uns. Aber das muß miteinander entschieden werden. Ihr Gesetzentwurf von der FDP ist doch darauf angelegt, daß Sie allein bestimmen wollen: Letztentscheidungsrecht des Senats auch bei der Frage, ob der Müllwerker vom Wagen A auf den Wagen B soll.

Warum ist in diesem Fall denn Mitbestimmung nötig?

Tilsner: Es kann da die unterschiedlichsten Gründe geben – ob er vielleicht mit einem bestimmten Mitarbeiter nicht zusammenarbeiten kann, soziale Gründe und so weiter.

van Nispen: Auch hierarchische Gründe.

Tilsner: Wenn es hierarchische Gründe sind, dann lassen Sie uns zusammen die Hierarchien im Öffentlichen Dienst abschaffen. Wir fordern seit drei, vier Jahren die Verwaltungsreform in Bremen. Aber bitteschön doch zusammen mit den Mitarbeitern. Und nicht erst im PVG die Rechte beschneiden und dann Verwaltungsreform machen. Jeder private Unternehmer weiß inzwischen, daß er gegen Mitarbeiter keine Reform seines Betriebes durchkriegt.

van Nispen: Das, was Sie da anmahnen, kommt über die Strukturveränderung des Öffentlichen Dienstes mit den neuen Bürokommunikations-Technologien sowieso.

Eines Tages werden wir in einem Ministerium nur noch drei Stufen haben: eine politisch verantwortliche Leitung, eine Koordinierungsebene und eine Arbeitsebene. Und die alten hierarchischen Strukturen von Schreibkraft, Sachbearbeiter, Kombikraft, Referent werden alle in einer einzigen Funktion aufgehen. Aber das bekommen wir nur hin mit gutwilligen Personalräten, die die Möglichkeiten, die das Gesetz jetzt bietet, so etwas Sinnvolles zu verhindern, nicht nutzen. Ansonsten könnten sie das über Jahre hinaus verschleppen.

Tilsner: Sie können es vielleicht verzögern, verhindern können sie es aber nicht, denn da besteht sowieso das Letztentscheidungsrecht des Senats in organisatorischen Angelegenheiten.

van Nispen: Einspruch, Euer Ehren. Nach dem geltenden PVG habe ich im Augenblick nur ein Letztentscheidungsrecht des Senats in personellen Angelegenheiten der Beamten und in Organisationsangelegenheiten – aber nicht in den Personalangelegenheiten der Angestellten, der Arbeiter, in sozialen Fragen und in Mischtatbeständen. Und wenn wir beide gemeinsam die bremische Verwaltung auf Trab bringen wollen, dann sind das alles Mischtatbestände. Denn es gibt doch kaum eine organisatorische Maßnahme, die nicht gleichzeitig soziale und personelle Komponenten hat.

Tilsner:Nein,nein. In Sachen Mischtatbestän-de hat das Bremer Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsge-richt doch eindeutig Position zu unseren Gunsten bezogen. Da wären wir doch bescheuert, jetzt zu sagen, was rechtlich durchgepaukt ist, das schmeißen wir auf den Markt.

Es geht doch darum, sachlich vernünftige Entscheidungen zu finden und das Gesetz weder auf der einen noch auf der anderen Seite als Mittel zu nutzen, um sich gegenseitig Schwierigkeiten zu machen. Ein Amtsleiter, der bereit ist, auf seine Mitarbeiter zuzugehen, dem werden die Mitarbeiter auch genauso vernünftig gegenübertreten.

Das Problem ist aber doch, daß das Bremer PVG dazu führt, daß im Öffentlichen Dienst auf jeder Ebene gedealt wird. Die Amtsleitung hat etwas vor, der Personalrat sagt grundsätzlich erstmal nein, und dann wird ein Deal gemacht: Die Amtsleitung kauft dem Personalrat seine Zustimmung mit einem Zugeständnis in einem völlig anderen Bereich ab. Ist das sinnvoll?

Tilsner: Erstens ist es nicht sinnvoll, und zweitens ist es nicht so, wie Sie es schildern. Daß der Personalrat seine Interessen einbringt, ist völlig klar. Aber es ist keineswegs so, daß der Dienststellenleiter sich auf solch einen Deal einlassen muß. Nach einer gleichberechtigten Mitbestimmung, die Herr van Nispen nicht wünscht, die wir aber gottseidank in Bremen haben, hat eben jede Seite ihre Chance, mit guten Argumenten zu einer relativ schnellen Entscheidung zu kommen.

van Nispen: Nein, das PVG, wie wir es heute haben, fördert in der Tat die Neigung zu faulen Kompromissen.

Tilsner: Einer soll also das Sagen haben: Ober sticht Unter, alter Grundsatz.

van Nispen: Ich möchte hier keine Verwaltung nach Gutsherrenart. Ich möchte nur eine Verwaltung, die schnell, unbürokratisch und sachgerecht entscheidet, und die im Konfliktfall das Letztentscheidungsrecht im Senat hat.

Tilsner: Und dagegen sind wir, daß es hier nur die Arbeitgeberseite geben soll, die entscheidet.

van Nispen: Aber der Unterschied ist doch: Wir als Senat sind vom Parlament und der Bevölkerung gewählt, Sie als Personalrat nicht.

Tilsner: Wir sind auch gewählt worden...

van Nispen: ...aber nicht vom Parlament. Die Demokratie nimmt doch keinen Schaden, wenn das Letztentscheidungsrecht auch auf Mischtatbestände ausgeweitet wird.

Tilsner: Doch, das wäre Diktatur.

van Nispen: Das halte ich, mit Verlaub gesagt, für Unsinn.

Sie sehen die Grauzone der faulen Kompromisse nicht, von der van Nispen spricht?

Tilsner: Das ist keine Frage des Gesetzes, sondern des Umgangs mit ihm. Und das gilt für beide Seiten. Wenn man meint, man müsse schlechte Kompromisse schließen, dann ist das nicht gut. Da sollte man lieber den Konflikt in dem vorgesehenen Verfahren lösen.

van Nispen: Im Öffentlichen Dienst werden doch ständig faule Kompromisse geschlossen – auf Kosten der Steuerzahler. Wenn ich meinen Job nicht ernst nehmen würde, dann könnte ich es mir verdammt einfach machen: Ein Geschenk im Sinne des Personalrats kostet schließlich nicht mein Geld und nicht deren Geld, sondern das Geld der anonymen Steuerzahler. In der Industrie ist das anders: Wenn die Tarifpartner da einen faulen Kompromiß schließen, wissen sie ganz genau, was sie das kostet.

Behindert das PVG nicht womöglich auch die dringend nötige Verwaltungsreform?

Tilsner: Nein, die Verwaltungsreform haben gerade wir permanent eingefordert. Aber es passiert ja nichts. Es ist überall nur Stückwerk. Der Senat hat sich bisher geweigert, überhaupt in Verhandlungen mit uns darüber einzutreten. Nur Wedemeier hat mir ab und an gesagt, darüber müssen wir reden, aber meine Senatskollegen sind leider dazu nicht bereit.

van Nispen: Aber das Problem ist doch, selbst wenn wir sie wollten, würden wir uns bei der Umsetzung der Verwaltungsreform hoffnungslos im Gestrüpp des PVG verfangen. Ich kämpfe seit langem im Senat – übrigens an der Seite von Herrn Scherf – für die konsequente dezentrale Ressourcenverantwortung. Das scheitert, weil es natürlich neben allen politischen Interessen auch hohe bürokratische Eigeninteressen derjenigen gibt, die im Augenblick über das Beschaffungswesen wachen, auf der Personalsteuerung hocken – die berühmten Zentralisten, die um keinen Preis der Welt ihre Funktion abgeben würden.

Ich glaube Ihnen, daß Sie die Verwaltungsreform fordern. Aber sie wird an dem historisch gewachsenen Gestrüpp der Bürokratie scheitern – und dazu gehört auch das PVG. Das Elend unseres Systems, besteht in dieser typisch deutschen Art, alles bis ins Letzte zu reglementieren. Sie würden es anstelle des Senats auch nicht hinkriegen.

Tilsner: Gehen Sie doch endlich mal auf uns zu und sagen Sie: Wir wollen mit Ihnen über die Verwaltungsreform wirklich reden. Aber keiner kommt. Es wäre doch in Ihrem Bereich zum Beispiel mal die Frage zu stellen, ob das Bremer Ortsamtsystem, das nun so gewachsen ist, noch das Gelbe vom Ei ist, oder ob man nicht vielleicht einmal in eine andere Zuschneidung von Ortsteilen und dezentraler Verwaltungszuständigkeiten kommen muß.

van Nispen: Ich finde das eine spannende Angelegenheit, meinetwegen auch gemeinsam mit Ihnen. Aber wenn man das so will, dann muß man auch ohne Tabus an das PVG herangehen.

Tilsner: Aber doch in der richtigen Reihenfolge. Jeder, der Verantwortung trägt, weiß doch: Ohne meine Beschäftigten, ohne ihre Personalvertretung, ohne ihre Gewerkschaften kriege ich nichts hin.

Also Essig für die Verwaltungsreform?

van Nispen: Herr Kröning, der hier ja zuständig ist, beschwört ständig den Wert der Verwaltungsreform...

Tilsner: Wissen Sie, was Herr Kröning macht? – dicke Papiere, und wenn Sie mal das Deckblatt aufschlagen, stellen Sie fest, daß der Text ab Seite zwei mit der vorhergehenden Fassung identisch ist.

van Nispen: Ich sehe schon, die FDP wird Arm in Arm mit dem Gesamtpersonalrat für die Verwaltungsreform marschieren.

Fragen: Dirk Asendorpf

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