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Wand und BodenIm Büßerhemd

■ Kunst in Berlin jetzt: Positionen von Frank/Stürmer, Ackermann, Hüppi, Reski, Ritter und Zey

Mode, weibliches Software- Programm, wird im kulturellen Diskurs als Kunstgewerbe eingeschätzt – und letzteres ist nicht nur weniger, sondern das ganze Gegenteil von Kunst. Regina Franks Kleider der „Collection Morale“ und „Collection Tautologique“ in der (Schau-)Fensterfront der Wewerka Galerie zeigen mithin den Mut, unterbewertet zu werden. Die Schneiderpuppen- Skulpturen in ihren steifen Leinwandroben sehen in der Tat auch gefährlich gefällig aus. Aber: „Die Künstlerin ist anwesend“, lautet die subtile Warnung auf einem „Kimono“ (1992). Eine Künstlerin, die Kunst und Geschlecht auszustellen und bloßzulegen weiß. Die Leinwand, die der Künstler als Malgrund über den Keilrahmen spannt und in die Distanz der Wand bringt, geht der Künstlerin hautnah. Die Motive aus der Kunstgeschichte des weiblichen Akts auf dem rauhen Büßerhemd „Nude“ (1994) definieren den nackten Körper, den sie der Wahrnehmung entziehen. Statt Haßkappe: „Negligé und Lachmaske“ (1993), ein Leinenhelm voll von lachenden Modellgesichtern. Die konstruktive Moderne wird in der Pappschachtel verstaut. Der Schnittmusterbogen in den Collagen „Hexenprüfung“ und „Sans souci“ (1994) ist raffinierter Angelpunkt von Dreidimensionalität in der Flächenprojektion, von gegenstandsloser Abstraktion und Körpermaß.

Mit Mode und, damit verbunden, Konsum hat sich Betty Stürmer in früheren Arbeiten auseinandergesetzt. Jetzt knüpft sie sich die „Dinge“ ansich vor. 600 Zeichnungen von verschiedensten Artikeln, die sie in einem französischen Warenkatalog der 50er Jahre fand, hat sie als Schwarzweißfotokopie vergrößert, auf Holz aufgezogen und im Umriß ausgeschnitten. Neben- und aneinandergehängt ergeben Kneifzange und Handschuhpaar, Bruchband und Schraubenschlüssel eine flächendeckend nostalgische Wandinstallation: die Provokation der Dekoration.

Bis 7. 4., Potsdamer Straße 58; Mo.–Fr. 14–18, Sa. 11–14 Uhr.

Positionen von vier Künstlern in der Galerie Wiensowski & Harbord: Papierarbeiten, roh an Wand und Boden geheftet, zeigen Thaddäus Hüppi und Gunter Reski, gerahmt und hinter Glas Franz Ackermann. Ralf Ritter klebt knallrote oder giftgrüne Zündplättchenstreifen auf Leinwand auf und beschießt oder beschreibt sie. Das ergibt ein Selbstportrait respektive Zufallsexplosionen in Reihe: „All work and no play makes Jack a dull boy.“ Dull boys sind sie alle nicht. Einen Hauch frühe 70er Jahre verspürt man angesichts der großen Schwarzweiß-Papierformate von Hüppi mit ihren organisch-psychedelischen Blüten- und Sternenmustern. Auch Mickey Mouse läßt grüßen. Er funktioniert ähnlich wie die kleinen bastumwickelten Äste, die Hüppi mit Gesichtern bemalt und mit hohen Hüten versehen hat, und schaut wohlwollend auf eine Art Nachttischlämpchen. Ansonsten sind aquarellierte und ausgeschnittene Hausschlappen, Autofelgen und ein Flickenteppich auf Bodenhöhe installiert. Gunter Reski zeichnet in farbiger Mischtechnik das vornehmlich häusliche Leben auf und schaut am liebsten in die Röhre. Seiner Jeans zumindest, die er in extrem verzwickter Perspektive von der Öffnung der Hosenbeine nach oben hin, zum offenen Hosenbund „aufgenommen“ hat. Diese Form blendet er auch über das Sujet einer ihr Kind stillenden Mutter. Franz Ackermann ist der Künstler als Nomade, ohne Atelier, auf Reisen in Fernost, Hotel- und Küchentisch erlauben nur kleine Formate. Illusionäre Stadtpläne voll verschlungener Wege und Bedeutungen; interessante Embleme voll gerasterter Idealstadtstraßen und neoplastischer Heftpflastervierecke werden in ihrer absurden funktionalen Untauglichkeit als schierer Anlaß für ungegenständliche, dennoch realitätsverweisende malerische Form- und Farberfindung kenntlich. Auf dieser Ebene wird die Angelegenheit trickreich: die Differenz zum Normstadtplan ist bildimmanent nicht zu klären.

Bis 10. 4., Goethestraße 69, Fr.–So. 15–19 Uhr.

Ralf Ritter: „Great Omi“ Abb.: Galerie

Kontextualisierung hilft in solchen Fällen. Landschaft ist das neue Momentum, das in Georg Zeys „Zeyberspace“- Skulptur aufscheint. Der normgraue PVC-Koloß, der wolken- oder baumkronenartige biomorphe Blasen über rundgekurvte Trägerschienen verbindet, scheint einem aus der Galerie Vincenz Sala entgegenzufliegen; verursacht durch die leichte Untersicht durch die großen Fenster. Die auffällige Konfiguration tritt einerseits als klassische, freistehende Skulptur auf, die Material für denkwürdige Oberflächeneindrücke liefert. Andererseits, indem die Trägerschienen alle auf einer Ebene zusammentreffen, wachsen die grauen Wucherungen über diese Spiegelachse in die Tiefe eines nicht vorhandenen Raumes. Darüber hinaus ist Plastik Pop, und Pop kennt Gegenstände nur als Zeichen: Zeys PVC-Rhizom gibt dem spöttischen Spiel mit Eigenname und Virtual Reality Modellfunktion. Simulation im genauen Sinne, mathematisch generierte zeichenhafte Programme im Probehandeln zu analysieren.

Bis 9. 4., Brunnenstraße 44, Do.–Fr. 17.30–20 Uhr, Sa. 11–14 Uhr. Brigitte Werneburg

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