: "Bulgarien über alles"
■ Die bulgarische Liberal-Demokratische Partei setzt auf ein slawisches Bündnis
Bis zum Besuch Wladimir Schirinowskis in Bulgarien hatte kaum jemand dort von der Existenz einer Liberal-Demokratischen Partei erfahren, obwohl sie schon vor vier Jahren gegründet worden war. Aus dem Schatten trat sie erst im Dezember 1993, als plötzlich, rechtzeitig zum zweiten Weihnachtsfeiertag, in Bulgarien Schirinowski zu einem „privaten Besuch“ aufkreuzte und mit seinem unberechenbaren Verhalten und seinen drastischen Äußerungen über den „Übergangspräsidenten Schelju Schelew“, der so schnell wie möglich verschwinden müsse, und die „Notwendigkeit, Bulgarien durch Makedonien, Trakien und die Dobrodza zu erweitern“, einen Skandal auslöste. Die ganze Zeit saß ein 45jähriger backenbärtiger Mann neben ihm: Weselin Koschew, Vorsitzender der Bulgarischen Liberal-Demokratischen Partei. Er hatte in Sofia auch die Pressekonferenz Schirinowskis organisiert, auf der er ankündigte, seine Partei werde Schirinowski in einigen Wochen zu einem offiziellen Besuch einladen.
Weselin Koschew, ausgebildeter Germanist, war das erste Mal 1990 im Ausland, in Hannover und Bonn auf dem Kongreß der FDP. Er begleitete Frau Elka Konstantinowa, eine bekannte Aktivistin der oppositionellen Union der Demokratischen Kräfte. Damals dachte Koschew noch daran, mit seiner kleinen Partei der Union beizutreten, als entschieden antikommunistische Gruppierung. Bald stellte sich heraus, daß niemand in der UDK die Liberaldemokraten wollte. Koschew behauptet heute, der Eintritt sei von geheimnisvollen Kräften verhindert worden, denen an einem Beitritt entschiedener Antikommunisten nicht gelegen gewesen sei. Wie die meisten rechten Politiker ist auch er der Ansicht, der Umbruch in Bulgarien wie auch in anderen osteuropäischen Ländern sei von den Kommunisten selbst vorbereitet worden, die ihre politische Macht gegen die Möglichkeit eingetauscht hätten, Geld zu machen.
In Hannover lernte Koschew auch Wladimir Schirinowski kennen, an dem er sofort Gefallen fand. „Er ist anders als die sonstigen Russen“, sagt er, „er raucht nicht, säuft nicht, ist gebildet, gutmütig und hilfsbereit.“ Zum nächsten Treffen der beiden kam es in Helsinki, die bulgarischen Liberaldemokraten waren auch in Moskau, wo Schirinowski sie geradezu königlich empfing und das Petersburger Fernsehen mit Koschew ein halbstündiges Interview führte. Am Ende des Besuchs unterschrieben beide Parteien ein Abkommen über Zusammenarbeit. „Auch im Westen erfreut sich unsere Partei großer Unterstützung“, sagt Koschew, „der ehemalige deutsche Botschafter in Sofia, Herr Lewalter, nannte uns eine kleine, intelligente und subtile Partei.“
Koschew will demnächst nach Belgrad und Bagdad fahren, wo er sich vermutlich mit Saddam Hussein treffen will. Bis jetzt ist seine Partei außerhalb des Parlaments, will aber an den nächsten Parlamentswahlen teilnehmen, die laut Verfassung im Herbst 1995 stattfinden sollen. Bisher hat die Partei 4.000 Mitglieder, darunter auch bulgarische Emigranten in Italien, Schweden, Frankreich und Deutschland. „Sie können uns Nationalisten nennen“, meint Koschew, „aber nicht Chauvinisten. Wir sagen: ,Bulgarien über alles, aber in Harmonie mit der Welt.‘“ Er zähle auf den Ausbau der Kontakte zwischen den früheren kommunistischen Ländern – darunter auch mit Rußland –, aber auf der Grundlage der Gleichberechtigung. Das habe er auch Schirinowski gesagt, und der sei damit einverstanden gewesen. „Man hat uns genug herumgeschubst und gesagt, was wir zu machen haben, im Osten und im Westen“, klagt Koschew, „erst distanziert sich der Westen mit einer Berliner Mauer von uns, dann mit einer gläsernen Wand, durch die er uns angafft, als wären wir Eingeborene. Aber uns rumkommandieren, das will er natürlich.“ Koschew geht es auf die Nerven, daß seine Landsleute den Westen nachmachen wollen – Präsident Schelew wirft er das auch vor. „Der will aus uns ein frankophones Land machen, aber wir sind Kinder von Cyril und Method. Unser Platz ist unter den Slawen.“ Koschew will sich gar nicht zu sehr in den Vordergrund spielen, lieber bleibt er „graue Eminenz“ im Hintergrund. Als Präsidentschaftskandidat für die Wahlen in drei Jahren schwebt ihm der seit 1946 in der Emigration lebende ehemalige Zar Simeon II. vor. „Russischer Präsident ist dann natürlich schon Schirinowski, und unsere Länder werden in Harmonie und Zusammenarbeit leben“, träumt Weselin Koschew. Barbara Rogalska
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