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Ein zweites Monte Carlo

Auf der Krim – wie in der gesamten Ukraine – finden am Sonntag Wahlen statt. Viele wünschen die Rückkehr zu Rußland  ■ Von der Krim Klaus-Helge Donath

Lew Mirimski ist pünktlich da. Breitschultrig, mit imposanter Statur, könnte man ihn für den Leibwächter halten und nicht den schlanken Begleiter, der schüchtern das Portefeuille hält. Zwei Stunden sind seit dem Telefongespräch vergangen. Alles ist arrangiert. Mirimski kandidiert für den Obersten Sowjet der Krim in Simferopel – als Parteiloser. „Gehen wir?“ fragt er.

Im Casino nebenan ist der Tisch gedeckt: Cognac, Wodka, Champagner und exzellentes Filet. An den Roulettetischen spielen nur die Croupiers. Mirimski ruft den Besitzer, um ihn vorzustellen. Der trägt einen schimmernden Trainingsanzug, die einstige Einheitskleidung erfolgreicher „Busnessmeni“ in Moskau.

Mirimski ist 33 Jahre alt und hat schon einiges hinter sich. Sein Programm ist einfach, weil ihn die große Politik nicht interessiert. Und die Krim, die zwischen Rußland und der Ukraine zum Zankapfel wurde? Will er die Unabhängigkeit oder den Anschluß an Rußland? Er bleibt vage wie die meisten Politiker in Simferopel, die sich am Sonntag den Wahlen stellen werden.

Im Wahlkampf fordern sie die Vereinigung mit Mütterchen Rußland, danach geben sie sich moderater, so wie der kürzlich gewählte Präsident der Krim, Juri Meschkow. Er spricht heute von einer Einbeziehung der Halbinsel in die Rubelzone. Auch Mirimski geht es vornehmlich um die wirtschaftliche Annäherung. Seit die sowjetische Sanatorieninsel unter Kiewer Leitung steht, geht es den Menschen schlechter. Früher lebte man im Sommer von den Kurgästen und im Winter von den Subventionen, denn hier vertrieb sich die Nomenklatura die Zeit, deren wohlsituierte Rentner auf dem Küstenstreifen beiderseits von Jalta siedelten. „Die Krim hat alle Voraussetzungen für ein zweites Monte Carlo“, meint Mirimski.

Die schäbigen Spielhöllen in Jalta sind voller als die Sanatorien. Mirimskis Gehilfe packt einen Stoß Werbematerial aus: Einen kleinen Kalender, auf dem der Prätendent Mirimski als römischer Imperator posiert, mit Lorbeerzweig versteht sich. Seine Körpermaße wirken darauf maßvoller. Trotz des Stiernackens, der den Umfang eines kräftigen Oberschenkels hat, steht etwas Sanftes in seinem Gesicht. „Für eine wohlhabende Krim – durch den Reichtum seiner Bürger!“ lautet sein Slogan. Darunter der Doppelreim: „Rom braucht den Papst – den Papa rimski – die Krim dagegen Lew Mirimski“.

Den Kandidaten überfällt Mißtrauen, nachdem Slawa dazukommt. Er ist Redakteur der unabhängigen Zeitung Slowo Tawrize, die an seinem Küchentisch entsteht. Und der ist nicht einfach zu finden. Seine Wohnung liegt am Stadtrand hinter einem Hügel der Trabantenstädte, die um Simferopel wuchern. Slawa kennt jeden, seine Aufrichtigkeit hat er jedoch vor zwei Jahren mit dem Verlust sämtlicher Zähne seines Unterkiefers bezahlen müssen. Der Tip Mirimski, sozusagen der Prototyp des zukünftigen Inselpolitikers, stammte von ihm. Slawa ist hochgradig moralisch mit den Zügen eines Don Quijote. Die Krim hat die höchste Rate an politisch motivierten Morden in der Ukraine, und Terrorismus ist eine bevorzugte Wahlkampftaktik. Während der Präsidentenwahlen kamen zwei bekannte Lokalgrößen durch einen „Autounfall“ zu Tode.

Slawa befürchtet ein ähnliches Schicksal, obwohl er als Chef der Tageszeitung der KP in Simferopel früher zu dem engeren Kreis der Mächtigen gehörte. Seither kämpft er für die Demokratie und mußte dabei Zähne lassen. Sein Favorit heißt Kunitzin und ist der Bürgermeister von Krasnoperekopsk, der größten Industrieansiedlung an der Landenge zum ukrainischen Festland.

Kunitzin ist auch in den Dreißigern und ein dekorierter Afghanistan-Veteran. Am Sonnabend hält er eine Wahlkampfrede im Theater des Kurorts. Während des Krim-Krieges landeten in der Nähe die Truppen der Franzosen und Engländer, um auf die Festung Sewastopol vorzurücken. Damals meldete Rußland den Anspruch auf die Küsten des Schwarzen Meeres und die Dardanellen an. Erst Ende des 18. Jahrhunderts nahm Katharina II. den Türken die Krim ab. Sie sollte das Sprungbrett nach Konstantinopel sein. Schließlich träumte man in Petersburg und Moskau schon lange von einem dritten Rom, das sich in den Schlachten des Krim-Krieges 1857 zerschlug. Die Wahlkampftour führt Kunitzin auch in die wieder umkämpfte Festung Sewastopol. Für die Russen ist sie mehr als nur ein Flottenstützpunkt. Doch die Übereinkunft zwischen Moskau und Kiew ist zerbrechlich. Dabei geht es nicht um den langsam vor sich hinrottenden Bestand der Flotte. Sewastopol ist immer noch eine geschlossene Stadt. Man bedarf eines Visums und eines Extrapassierscheines. Der Sicherheitsbeamte in Simferopel – ein Ukrainer – kann auf die Schnelle nichts machen. Er tut so, als wolle man den Sicherheits-Code knacken.

Ganze zwanzig Leute sind gekommen, um Kunitzin zu hören. Die meisten kennen seine Partei, die „Vereinigung zur Unterstützung der Republik Krim“, gar nicht. Er versucht, von dem Streit zwischen Rußland und der Ukraine abzulenken und spricht von den Aussichten einer Freihandelszone für die Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres. Man hört ihm anfangs zu, doch dann hat die Geduld ein Ende. Eine alte Frau fährt ihm dazwischen und läßt die UdSSR wiederauferstehen. Das Ganze endet in einem Eklat. Ein Rentner läuft auf Kunitzin zu: Man habe ihn zum Bettler gemacht. Nicht die Reformen oder Jelzin seien schuld, sondern Kiew.

Die gleichen verbissenen und heruntergekommenen Leute bevölkern auch den kleinen Park vor dem Obersten Sowjet in Simferopel. Ein altes Mütterchen bricht in Tränen aus, als sie von der Großen Sowjetunion spricht. Hinter ihr hängen Transparente: „Krawtschuk, nimm deine dreckigen Hände von der Krim“. Auf einem andern Plakat sind es Washington, London und Bonn, die Gehilfen Jelzins, die den Sonnenflecken an die Ukraine verhökert haben. Die Welt ist einfach, nur läßt es sich schwer auf ihr leben. Bei allem dreht es sich um das Materielle. „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.“ Nur hat die Ukraine wenig anzubieten. Moskau erscheint von Süden gesehen wie ein Paradies. Krawtschuk hat gerade den Krieg der Dekrete gegen den Präsidenten Meschkow eröffnet. Er verbot die Durchführung eines Referendums, das Meschkow als eine „Umfrage“ tarnen wollte.

Unter wem möchten die Krimer leben? Kein Zweifel, bei 70 Prozent russischer Bevölkerung, die mehrheitlich erst nach 1944 auf der Insel angesiedelt worden ist. Die eigentlichen Bewohner, die Krimtataren, hatte Stalin zwangsumgesiedelt. Über sie verlieren die protestierenden Russen kein Wort. Nur Kunitzin hat sich ihrer Sache angenommen. Ihn begleitet eine tatarische Künstlertruppe von Auftritt zu Auftritt. Ihre Sängerin Gulja kam vor vier Jahren aus Tadschikistan zurück, der Klarinettist wuchs in Usbekistan auf. Sie setzen auf Kunitzin.

Mirimski irritieren Slawas Bemerkungen. „Was verstehst du unter Mafia?“ Er argwöhnt, Slawa habe etwas über seine Machenschaften fallenlassen. Mirimski wirkt sogar etwas schüchtern. Plötzlich fährt er die Bedienung an und meint: „Die können hier alle nicht arbeiten.“

Mirimski hat klein angefangen und war sich für nichts zu schade. Altglas sammelte er Anfang der Achtziger, arbeitete auf dem Bau und grillte schließlich Schaschlik. Kopeke kam zu Kopeke. Dann stieg er 1985 in den Handel ein. Doch er handelte nicht nur mit unbeseelten Gegenständen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, er sei der Hintermann eines florierenden „öffentlichen Hauses“, wie er es nennt. Er weiß auch eine Menge über die Prostitution zwischen der Krim, der Türkei und Israel zu berichten. „Mafia?“ Er macht seinen Stiernacken frei. Eine riesige Narbe kommt zum Vorschein. „Meinst du das?“ Vor zwei Jahren sei er überfallen worden. Der Schuß ging knapp an der Wirbelsäule vorbei. Sein Fahrer starb. „Wer was hat, kann auch was geben“, meint er.

Schon lange ist es ein offenes Geheimnis, daß auf der Krim die Politik die Wirtschaft beherrscht.

Politische Schlachten werden um wirtschaftliche Einflußzonen geschlagen. Wer oben nicht mitmischt, kann nichts erwarten. Besonders dort, wo nicht einmal Ansätze einer Reform unternommen wurden. Mafiose Strukturen ersetzen die Regierung. Das chauvinistische Moskau soll auch dem neuen Präsidenten kräftig unter die Arme gegriffen haben.

Firmen dienen als Tarnorganisationen, eine davon soll das Unternehmen „Impex“ sein. Mirimski will nicht sagen, ob er es kennt. Statt dessen lädt er in sein Imperium ein. Zwei BMWs halten vor dem Hotel. Zunächst geht es auf ein altes Fabrikgelände. Seine Leute haben hier eine Keramikproduktion eröffnet und Eisenkioske werden gefertigt. Auf dem gesamten Arsenal liegen Steine rum. Überall entstehen neue Häuser aus diesem Stein, die heimkehrenden Krimtataren bauen ihre Häuser damit. „Billiges, aber gutes Material und ein einträgliches Geschäft“, meint der Geschäftsführer, ein ehemaliger Seemann.

Weiter geht es in eine Autowerkstatt mit angeschlossener Tankstelle, dann in ein Autogeschäft westlicher Gebrauchtwagen. Zwischendurch ein Stopp im Stadtzentrum. Gegenüber einem Künstlertrödelmarkt baute er ein neues Geschäft, direkt neben dem Obersten Sowjet eröffnete er einen Valutaladen. Demnächst kommt noch eine Brotfabrik dazu, eine Wodkadestille gehört ihm ohnehin. Er besteht darauf, die Profite längerfristig auf der Krim zu investieren. Nichts würde er ins Ausland schaffen. „Investieren für die Zukunft unserer Kinder“, so der Standardspruch. Um all das gesetzlich abzusichern und „einen nächsten Putsch zu verhindern, genau deshalb kandidiere ich fürs Parlament“. Ach, eine Bank teilt er sich auch noch mit zwei Miteigentümern. Und im Stadtzentrum hat er eine Unterführung gemietet. „Ein Experiment, wir halten sie sauber und machen sie nachts zu.“ Finanziert wird das über Reklame, Kioske und Stellplätze. Gelingt das Experiment, sei die Stadt bereit, alle Unterführungen zu vermieten. An jedem seiner Unternehmen prangen Wahlplakate. In der untersten Zeile liest man: „Wer Mirimski gestern Vertrauen schenkte, lebt heute besser.“ Fünfeinhalbtausend Arbeitsplätze will er geschaffen haben.

Auf der Krim herrscht hohe Arbeitslosigkeit. „Die Leute drängen sich, um bei uns zu arbeiten. Unsere Löhne liegen zwei-, dreimal über dem Durchschnitt.“ Slawa kann das alles nicht gelten lassen. Es sei nicht sauber – er glaubt immer noch an ein Leben mit Dostojewski – nichts zählt als die Moral. Der Metropolit der orthodoxen Kirche der Krim schickte Mirimski einen Dankesbrief für die Spenden an das Altersheim und das Krankenhaus. Solche Menschen wie ihn brauche man...

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