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Tanzen bis zum Umfallen

■ Im E-Werk in der Wilhelmstraße laufen heute, morgen und Mitte April Techno-Parties / Die Werbeindustrie entdeckt die Raver-Szene

Die Party beginnt, als die „Kunst“ von der Tanzfläche verschwunden ist. Was sich davor noch dröge am Bier festgehalten hat und sich verzweifelt nach dem Sinn und Zweck der Dia-Litfaßsäulen fragte, auf denen ununterbrochen Werbeplakate von längst vergangenen Techno-Parties gezeigt wurden, atmet kurz nach Mitternacht auf. Die sperrigen Stellagen werden per Flaschenzug bis knapp unter die Hallendecke gehievt und Kid Paul aus Berlin und David Holmes aus London machen sich als DJs daran, das Berliner E-Werk mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen zu belegen. Die ehedem irritiert zwischen Biene-Maja-Plakaten und überdimensionalen Libellenplastiken Herumwandelnden wachsen in Sekunden zu einer Masse zuckender Leiber zusammen. Kunstnebel und Stroboskopgewitter tun ihr übriges, um die Menge ins geistige Nirwana zu befördern – Halligalli auf Deutschlands erster Techno-Art- Exhibition „Chromapark“.

Knappe sechs Stunden zuvor: Es ist gerade 20 Uhr, es dämmert. Langsam zeichnen sich die Konturen schwarzweißer Laserprojektionen auf der über 20 Meter hohen Außenwand des E-Werks ab. Vor dem Tor haben sich schon etliche Sonnenbrillen-, Kopftuch- und Sportdreß-TrägerInnen eingefunden. Schließlich sollen sich laut E-Werk-Betreiber Ralf Reglitz und Elsa Wormeck von der Agentur Mediamorph insgesamt rund 100 Techno-Künstler in einer „week of celebration“ zehn Tage lang (bis 10. April) in dem Tanztempel auf den „Decoder-Pfad“ begeben und die Gedankenwelt der Raver dokumentieren. Wie zum Beispiel der Anhänger mehrdimensionaler Videobilder Konrad Becker aus Wien, der da im Ausstellungsprogramm zum besten gibt: „Das diversifizierte Inter-Info-Entertainment als scheinbar paradoxe Gleichschaltungs- Paralyse im ,Multibind‘-Deadlock.“

Egal, ob der Aussteller InfinE.T. in Goa zum ersten Mal erlebt hat, „wie circa 20 Leute drei Tage vor einer Party nonstop damit beschäftigt waren, eine einzige Party zu dekorieren“ und das für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen sei, oder ob den ElektronikkünstlerInnen nur der Strom ausgefallen war – die Raver wollen endlich rein.

Gesagt, getan, punkt 21 Uhr. Wo ist das erste Bild? Gleich am Eingang zur Haupthalle rechts. „Wir danken für die freundliche Unterstützung der Firmen...“ Na gut, denn halt das nächste: Eine Diaprojektion direkt vor dem Stand, an dem man sich das „Chromapark“-Logo aufs T-Shirt drucken lassen kann. Die Inschrift dieses Lichtbildes: „Wir danken für die freundliche...“. Weiter zur Cyberspace-Zauberkiste der Kanadierin Laura Kikaukas. Steckt man den Kopf hinein, beginnt das Spielmobil für Erwachsene zu rasseln und inwendig zu blinken. Kaum einer zeigt Interesse.

„Technologie ist die eigentliche Haut der Spezies Mensch“, verkündet indes der Computer der Station rosé – und wechselt auf Knopfdruck das Muster des eben gezeigten Bildes. Nein, nein. Ein normales Computerprogramm sei dies nicht, sagt Künstler Gary Danner. Hierbei handele es sich um eine CD-Rom-Bildplatte, bei der ihr Nutzer selbst entscheiden könne, was er wann und in welcher Reihenfolge sehen und hören wolle. Was das mit Techno zu tun hat?

„CD-Rom ist die Zukunft des Techno“, sagt Danner. Er verstehe gar nicht, wie die DJs heutzutage immer noch mit Plattenspielern herumfuhrwerken könnten, wo es doch per CD-Rom möglich wäre, sich zum einen weltweit an andere CD-Rom-User anzudocken und zum anderen Bild und Ton zu jeder Zeit exakt aufeinander abzustimmen. Ohne Technik geht in Zukunft auf dem Technosektor gar nichts mehr. Egal, ob über auf der Ausstellung vorhandene Netsurfing-Computer mit der ganzen welt kommuniziert wird oder Yastas Löffler eine künstliche „Hyperzone“ entwirft. „Der Geist des ,Deus ex Machina‘, der Aufstand der Maschinen, die Revolte künstlicher Intelligenz, ist die frohe Botschaft“, meint Mediakünstler Konrad Becker – derweil immer mehr Raver rätseln, wann denn nun die große Sause beginnt. Immer nur tonlose Projektionen zu betrachten, die generell den Eindruck machen, als hätten die Beatles vergessen, sie zusammen mit ihrem Yellow Submarine vor 20 Jahren zu demontieren.

Flammen bereiten der aufkeimenden Langeweile ein jähes Ende. Elsa Wormeck, alias Elsa for Toys, hat pyrotechnisch zur Art-Recycling-Modenschau gebeten. Mit Wunderkerzen nicht handelsüblicher Dimensionen in den Händen mischen sich plötzlich ein gutes Dutzend TrägerInnen schwarzweißer Zebrajacken vom Typ „Bundeswehr Wintertarnung“ unters Volk und turnten anschließend auf diversen Bühnen, während ein Kollege mit Stirnlampe von einem Seil gehalten die Wand rauf und runter läuft. Das besondere? Eigentlich nur der Stoff. Das Linnen dieser Jacken stammt von einem 600 Quadratmeter großen Banner der „Love Parade 1992“, das Elsa for Toys hergestellt und nun zu Mülljankern hat weiterverarbeiten lassen – Kunst-Wiederverwertung eben. Die Dinger sind – zu saftigen Preisen – auch noch zu kaufen: 600 Mark muß hinlegen, wer sich die CD-Brieftasche, ein ebenfalls auf dieser Ausstellung erwerbbares Accessoire, in die eigene Art-Recyclingjoppe stecken möchte. Markus Klemm

E-Werk, Wilhelmstraße 43, Ausstellung bis 10. April täglich von 12 bis 20 Uhr, Parties am 1.-3., 8.-10. April ab 23 Uhr

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