Wand und Boden: Im Schlagschatten des Betriebs
■ Kunst in Berlin jetzt: Kunst aus Cardiff, Roos, Umberg, Schneider
Der Regionalismus, in Amerika längst Thema statt Phänomen, wäre dem europäischen Selbstverständnis beinahe entgangen. Doch allmählich wächst die Peripherie: Paris achtet auf Lyon und London erwartet den Ansturm der Midlander. Die galerie+edition caoc hat diese Strategie übernommen und in einem Austauschprogramm junge Kunst aus Cardiff/Wales nach Berlin geholt. Jason Walsh zeigt in Museumsvitrinen eine präparierte Bibliothek. Dabei nutzt er Darstellungsmodi, die den Wortsinn erneut zum Gegenstand werden lassen. Walsh schnitzt das Vokabular konkret in die Bücher hinein und füllt den freigelegten Raum der Buchstaben mit gleichbedeutendem Nippes. Mitunter kolportiert der Zuschnitt das Zeichen wie bei einer künstlich glühenden Zigarette in pathetischer Kreuzform.
Auch Paul Bevan arbeitet mit Ironie und Überzeichnung. Als Museumsfotograf an Repräsentation gewöhnt, inszeniert er nun Fotos, deren Darstellung sich vom Kult des Archivierens abwenden. Wo Louise Lawler auf dem Zusammenhang von Betrieb und Betrachtung beharrt, sucht Bevan den Zugang der Öffentlichkeit. Für den Moment der Aufnahme wird er selbst wieder zum Besucher, lichtet überhastet im Louvre die Mona Lisa wie eine Trophäe ab. Doch diese schräge Populistik hält Bevan nicht durch, auch er will am Konzept des Systems teilhaben: Eine Reihe von Schnappschüssen aus dem Schlagschatten des Betriebs hat er wiederum in einem musealen Postkartenständer zusammengestellt.
Bei Klanger+Boink sind schon die Titel konzeptuell: „Food Disorders: The Emphatic Truth of Gestures in the Great Circumstance of Life“. Doch eine beigelegte Karte erklärt das Prinzip zur Täuschung, zum „Wunsch, eine sichtbare Sünde zu begehen“. Klanger+Boink machen allegorische Werbefotografie, mischen Jeans-Reklame mit Traumsequenzen aus „Somewhere over the Rainbow“ und lassen „The Critic“ als nackte Hausfrau mit Fernbedienung im Ohrensessel posen. Authentizität ist ein Rollenspiel: „The Terrorist“ zeigt ein Model beim Baden, mit Molotowcocktail auf dem Wannenrand. Wo Cindy Sherman sich zur Frau aller Frauen stilisiert, wird die ideale Weiblichkeit bei Klanger + Boink zielstrebig von Polit- und Popklischees erschlagen.
Cardiff/Berlin Exchange, bis 23. 4., Di-Sa 14-18 Uhr, Schliemannstraße 23
Daß auch Malerei heute noch mit Täuschung operieren kann, ohne sich den Vorwurf der Einfallslosigkeit einhandeln zu müssen, dokumentieren fünf großformatige Arbeiten von Nina Roos bei Gebauer&Günther. Roos beschränkt sich auf Verfahren und holt Konturen aus der Fläche, die nicht mit der Form übereinstimmen. Malerei ist bei ihr vor allem eine Bewegung. Vermutlich von links nach rechts als sanfte Welle aufgetragen, erscheint das auberginefarbene Öl wie eine hauchdünne Schicht auf dem quadratischen Acrylglas und erzeugt trotzdem einen illusorischen Bildraum. Die Galeriebeleuchtung zumindest reflektiert die Farbspuren mit einem Schillern in der Tiefe. Von weitem betrachtet wirkt die Oberfläche aufgrund einfacher Komplementärkontraste (von olivgrün über gelborange zu lila) dreidimensional, aus der Nähe betrachtet fallen die einzelnen Farben jedoch wie collagierte Bahnen auseinander. Jeder Strich wird materiell. So erscheint auf einem zweiteiligen Längsformat eine rosa getönte, überdimensional vergrößerte Hüfte, in die sich zwei samtene, in den bereits erwähnten Farben gehaltene Fausthandschuhe schmiegen. Gleichzeitig wird die inhärent dargestellte Körperlichkeit wieder in Oberfläche aufgelöst.
Bis 16.4., Di-Sa 14-19 Uhr, Oranienstraße 24
Ganz und gar zurückgenommen hat Günter Umberg, was an Wirkung noch im abstrakten Bild übrigbleibt: Farbe darf für ihn nur als konkretes Material, nicht aber als optische Erscheinung wirken. In diesem eingeschränkten Spektrum soll nur ein Farbfeld existieren: Schwarz. Bis zu 80 Lagen an Pigment schichtet Umberg übereinander, so daß eine undurchdringlich matte Tiefe entsteht, die nichts mehr reflektiert: Der Schein verschwindet vollständig, der „bein- und rebenschwarze“ Staub allein bleibt als Bild erhalten. Entsprechend sind die Exponate wie Löcher im Raum, die bereits in geringer Zahl und bei kleinsten Formaten die Galerie zusammenschrumpfen lassen. Das Bild als Material schwebt: Wenige Zentimeter von der Wand abgehängt ist es sich praktisch selbst schon Rahmung genug. Umberg benutzt das Material intensiv, abstrakt und unsymbolisch. Er nennt es „Handeln mit Farbe“. Sehr ökonomisch.
Bis 16.4., Galerie Weber, Mi-Fr 14-19, Sa 10-14 Uhr, Oranienstraße 24
Gregor Schneiders recht komplexe Täuschung ist real. Wo andere Künstler ortsspezifisch Arbeitssituationen simulieren, läßt er die Arbeit in der Situation verschwinden. Zurück bleibt ein verdutzter Betrachter in einer eben nur scheinbar leeren Galerie: X Raum UR 3A 1994 wurde zur Eröffnung in die neuen Räume der Galerie Andreas Weiss in der Nollendorfstraße 11-12 eingebaut. Links in der Ecke einer langen Flucht hat Schneider zwei Wände auf Deckenhöhe eingezogen, detailgenau brüchig verputzt und mit der gleichen Neonröhre versehen, von denen zwei Dutzend weitere auch sonst den Raum beleuchten. So wurde in der abgetrennten Nische, vom Eingang aus allerdings leicht zu übersehen, eine künstliche Zusatzkammer samt gefakter Fenster und Türen eingerichtet. Dieses Zimmer im Raum ist eine Art Umkehrung jener Eingriffe, die Gordon Matta-Clark zu Beginn der siebziger Jahre vorgenommen hatte. Während er durch die zugefügten Schnitte und Durchbrüche eine Beziehung zwischen Innen (Kunst) und Außen (Öffentlichkeit) wiederherstellen wollte, verbleibt die Arbeit von Gregor Schneider einzig im Galeriekontext. Die Mimesis ans System allerdings deckt einen anderen Bruch auf: Der Einbau schafft sich seine eigene Wirklichkeit. Er behält die Rahmenbedingungen der Galerie bei, verdoppelt aber deren Funktion. Dadurch entsteht die Lücke: Das Objekt ist wie ein Spiegel ohne Betrachter. Denn wenn man hineinschaut, blickt nur die Galerie zurück. Noch lehnt Gregor Schneider Auftragsarbeiten ab. Die Idee könnte zum Dekor verkümmern. Di-Fr 14-18 , Sa 10-14 Uhr
Harald Fricke
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