: Schutzgebühren für den Balkan-Krieg
Teils freiwillig, teils unfreiwillig finanziert die weltweit verzweigte Diaspora der Balkanvölker die Armeen in Ex-Jugoslawien / Waffen finden immer ihren Weg in das Kriegsgebiet ■ Aus Wien Karl Gersuny
Die Propaganda kennt keinen Frieden. „Natürlich werden wir auch unkonventionelle Waffen einsetzen“, warnt Andjelko Makar, Oberbefehlshaber des Zwei- ten Corps der bosnisch-muslimischen Armee in Tuzla. Sollten die Kämpfe wiederaufflammen, dann werden er und seine Leute zum äußersten greifen – zum Gebrauch von Chemiewaffen. Der Kommandeur prahlt: „Wir basteln an Nervengasgranaten.“ Den Krieger interessiert nicht, daß der Einsatz chemischer Kampfstoffe nach der Genfer Kriegsrechts-Konvention generell verboten ist.
In den Köpfen serbischer Militärs geistern ebenfalls wirrste Überlegungen und Planspiele. Da Kroatien und möglicherweise auch Bosnien durch ihren Verbündeten Deutschland in den Besitz von Atomwaffen gelangen werden, so sinniert ein Belgrader Militärexperte in der regierungsnahen Tageszeitung Politika Ekspres, bliebe auch Serbien nichts anderes übrig, als sich bei befreundeten Staaten mit modernsten Nuklearwaffen einzudecken.
Bizarrer Balkan: Alle Nachfolgestaaten des untergegangenen Jugoslawien rüsten ihre Armeen im Eiltempo auf und protzen mit ihrer militärischen Stärke – die gar keine ist. Die größten chemischen Industrieanlagen und Munitionsdepots aus kommunistischer Zeit befinden sich zwar im heutigen Bosnien, doch um Nervengasgranaten herstellen zu können, fehlt es den Muslimen an Einzelteilen und vor allem am Know-how. Auch die Serben konnten bisher trotz massiver diplomatischer Anstrengungen nicht mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein ins Geschäft kommen. Die Iraker verhalten sich noch immer reserviert, und der Wunsch des Milošević-Regimes, in den Besitz von Scud-Raketen und an Raketensysteme größerer Reichweite zu gelangen, blieb unerfüllt. Doch erst durch den Einsatz solcher Systeme hätten die serbischen Kriegsherren den Stellungskrieg in Bosnien klar für sich entscheiden können.
So wird der Waffengang weiterhin konventionell geführt. Nachgebaute russische T-84-Panzer und Raketenwerfer vom Typ LRVS M-87-Orkan sowie einige französische MiG-Kampfbomber in Lizenzbau sind der Stolz der serbischen Armee. Die Kroaten und Slowenen können als Prunkstücke ihrer jungen Streitkräfte einige deutsche Leopardpanzer aufweisen, und die Muslime verfügen über etwa ein Dutzend Kampfhubschrauber, die wahrscheinlich über ungarische und albanische Flughäfen eingeflogen wurden. Der Großteil der Waffen wird vor Ort zusammengebaut: Aus Traktoren entstehen Panzer, landwirtschaftliche Flieger werden zu Kampfmaschinen umfunktioniert.
Ersatzteile und die elektronische Ausrüstung kommen über verschlungene Wege und sogenannte Ameisenpfade in die Krisenregion. Gastarbeiter in Frankreich, Deutschland oder Italien schleusen bei ihrer Heimfahrt Handfeuerwaffen und Munition im Reisegepäck über die Grenzen, Einkaufstouristen aus dem ehemals jugoslawischen Raum decken sich bei ihren Tagesfahrten nach Ungarn, Rumänien oder Albanien neben Konsumgütern auch mit Kriegswerkzeug ein. Doch die großen Coups gehen auf das Konto der Regierungen. In Millionenhöhe verschoben serbische Staatsfirmen in den letzten Monaten bosnische Kriegsbeute vor allem in die arabische Welt, und tauschten im Gegenzug Kriegsgerät ein. Belgrader Waffenschieber erstanden so von der libanesischen Christenmiliz große Mengen an gebrauchten Handfeuerwaffen, die unbemerkt über die Donau nach Serbien geschmuggelt wurden. Nach Angaben des amerikanischen Geheimdienstes unternehmen jedoch auch Muslime, Kroaten und Albaner große Anstrengungen, mit internationalen Waffenschiebern ins Geschäft zu kommen und die serbischen Kontakte zur internationalen Kriegsmafia zu untergraben. Über Pakistan und Malaysia, die iranischen Mullahs und die algerische Militärregierung, so die Erkenntnisse der CIA, organisiert die bosnische Regierung unter Alija Izetbegović den Waffennachschub. Glaubt man den Aussagen der Diplomaten, dann gelingt es der jungen Balkanrepublik langsam, die militärische Unterlegenheit wettzumachen.
Das einzige Problem der Muslime: Abgeschnitten vom direkten Zugang zur Adria, haben sie die größten Probleme, die Rüstung zu den Verteidigern vor Ort zu schleusen. Obwohl Präsident Izetbegović und sein kroatischer Amtskollege Franjo Tudjman im März einen gemeinsamen Staatenbund mit einer gemeinsamen Streitmacht ins Leben riefen, mißtrauen die Kroaten ihren neuen Verbündeten. Sie achten schärfstens darauf, daß keine Waffen ohne ihr Wissen zu den muslimischen Verbänden durchdringen.
Doch auf allen Seiten sind die Kommandeure bestechlich, und zur persönlichen Bereicherung drücken sie schnell beide Augen zu. Auf diese Weise gelangte aus Slowenien Kriegsgerät nach Sarajevo – aber auch zu den serbischen Gegnern. Mazedonische und albanische Waffenschieber beteiligen sich ebenfalls am lukrativen Geschäft, und manch einer zieht mit einer kleinen Eselskarawane durch das Gebirge, um seine heiße Ware an die Soldateska zu bringen. Bezahlt wird immer, an Geld mangelt es nicht.
Die weltweit verzweigte Diaspora der Balkanvölker finanziert weiterhin den Krieg. Manche spenden freiwillig, andere werden dazu gezwungen. Inoffiziell erheben kroatische, serbische und muslimische Konsulate von ihren Landsleuten sogenannte „patriotische Unterstüzungsabgaben“. In Deutschland werden Gastarbeiter und Flüchtlinge nicht selten von mafiaähnlichen Cliquen bedroht, die monatlich „Schutzgebühren“ von einigen hundert Mark aufwärts berechnen. Eine lukrative Einnahmequelle für Marodeure, Warlords und Killerkohorten, die den Krieg auf dem Balkan mit allen Mitteln fortführen wollen.
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