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Geständnisse mit umstrittener Beweiskraft

■ In Düsseldorf beginnt morgen mit einem langwierigen Indizienprozeß die juristische Aufarbeitung des Solinger Mordanschlags vom 29. Mai 1993. Vor Gericht stehen vier junge Männer, die nach...

In Düsseldorf beginnt morgen mit einem langwierigen Indizienprozeß die juristische Aufarbeitung des Solinger Mordanschlags vom 29. Mai 1993. Vor Gericht stehen vier junge Männer, die nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft aus erklärtem Haß gegen Ausländer den gewaltsamen Tod zweier Frauen und dreier Kinder türkischer Nationalität zu verantworten haben.

Geständnisse mit umstrittener Beweiskraft

Bundeskanzler Helmut Kohl nannte den mörderischen Brandanschlag in Solingen damals einen „Ausdruck asozialer Gewalttätigkeit, wie es sie überall gibt“. So versuchte der Regierungschef die aufgebrachte Öffentlichkeit im In- und Ausland zu beruhigen. Knapp ein Jahr später jedoch wird die verhängnisvolle Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 – in der Gürsün Ince (27), Hatice Genc (18), Gülistan Öztürk (12), Hülya (9) und Saime Genc (4) zu Tode kamen – noch einmal bis ins letzte Detail und unter internationalem Medieninteresse ausgebreitet werden.

Auf den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, Wolfgang Steffen, und seinen 6. Strafsenat wartet ein hartes Stück Arbeit. Vorab sind bereits 39 Verhandlungstage bis Anfang Oktober terminiert. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wartet mit 137 Zeugen und 14 Sachverständigen auf. Auf dem Richtertisch liegen zwei Geständnisse von Christian R. (17) und Markus G. (24), die bereits mehrfach widerrufen worden sind. Die anderen beiden Angeklagten, der 16jährige Felix K. und der 21jährige Christian B., bestreiten hartnäckig jegliche Tatbeteiligung. Das Quartett muß sich wegen Verdachts des gemeinschaftlichen fünffachen Mordes, versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verantworten.

Richter Steffen steht in Düsseldorf im Ruf, Behauptungen der BAW penibel zu überprüfen. Zuletzt wies Steffen die Karlsruher Anklagebehörde im Verfahren gegen die beiden IRA-Mitglieder Mc Geough und Hanratty in ihre Schranken. Während die BAW in ihrem Plädoyer im Juni 1992 noch eine lebenslange Haftstrafe für Hanratty forderte, hielt Steffen den Anklägern erhebliche „Lücken in der Beweiskette“ vor und verurteilte den Iren lediglich zu zwei Jahren und sechs Monaten. Verteidiger und Angeklagte dankten dem Vorsitzenden des Staatsschutzsenats seinerzeit im hochgesicherten Düsseldorfer Prozeßbunker für dessen „objektive und faire“ Verhandlungsführung.

Für die Rechtsanwälte Georg Greeven (Düsseldorf) und Jochen Ohliger (Solingen) ist ein „penibler“ Richter genau der richtige Mann. In mühsamer Kleinarbeit und monatelangen Recherchen haben sie Widersprüche im Beweisgebäude der BAW herausgearbeitet und sind von der Unschuld ihrer Mandanten K. und B. überzeugt. Selbst BKA-Chef Hans- Ludwig Zachert plagten bereits erhebliche Zweifel am Ermittlungsergebnis der BAW. Er kritisierte die Beweislage als „dünn“ und handelte sich einen Rüffel von Bundesinnenminister Kanther ein.

Dabei hatte kurz nach dem Anschlag alles ganz anders ausgesehen. Bereits einen Tag nach dem Brandanschlag nahm die Polizei Christian R. fest. R. gestand zunächst, er habe als Einzeltäter gehandelt, beschuldigte dann aber vier Skinheads und zog diese Version wieder zurück. Nach einer Vernehmungspause bezichtigte er dann unvermittelt K., B. und G. der Mittäterschaft. In einem späteren Aktenvermerk stellten die Vernehmungsbeamten klar, daß die vernehmenden Beamten R. die Namen von K., B. und G. vorgehalten haben. Nicht einmal auf Lichtbildern konnte R. alle drei identifizieren.

Trotzdem ging die BAW von Anfang an davon aus, daß K., B. und G. in der fraglichen Nacht zufällig R. getroffen und sich spontan entschlossen hätten, das Haus in der Solinger Unteren Wernerstraße anzuzünden. Nach einem Streit kurz zuvor auf einem Polterabend, auf dem K., B. und G. waren, sollen die drei „Haß auf Ausländer“ empfunden haben. Unterwegs sollen sie sich Benzin bei einer BP-Tankstelle besorgt und schließlich zusammen mit R. um 1.38 Uhr das Haus angezündet haben.

Genau diesen Hergang in der Tatnacht bezweifeln die Verteidiger von B. und K. Ihren Recherchen zufolge habe es das der Tat unterstellte Motiv – eine Auseinandersetzung am Rande des Polterabends – überhaupt nicht gegeben. Zudem könnten K., B. und G. unmöglich zur Tatzeit am Tatort gewesen sind. Die Wohnung, in der sie sich mit Freunden nach dem Polterabend zur fraglichen Zeit aufgehalten haben, liege nämlich 4,6 Kilometer vom Tatort entfernt.

Und tatsächlich brachten Tatzeit und Wegstrecke die Ermittler vom BKA ins schwitzen. Hatte eine zügig gehende Beamtin im Anfangsstadium der Ermittlungen noch 63 Minuten für die Wegstrecke zum Tatort gebraucht – zuviel, als daß die mutmaßlichen Täter zur Tatzeit am Tatort hätten gewesen sein können –, benötigte der zuletzt ins Rennen geschickte Beamte nur noch 40 Minuten. Da auch dies noch nicht reichte, geht man mittlerweile von einer späteren Brandlegungszeit aus. Nahm die um 1.42 Uhr alarmierte Feuerwehr noch an, daß aufgrund der fortgeschrittenen Brandausdehnung das Haus schon 30 Minuten vor ihrem Eintreffen um 1.47 Uhr gebrannt haben muß, beharrte die BAW auf 1.38 Uhr.

Diese und andere Ungereimtheiten machten Verteidiger und Eltern der Beschuldigten stutzig. Dann wurde bekannt, daß R. während der Befragungen zum psychiatrischen Gutachten einen Großteil seiner Aussagen zurückgezogen hatte. Er behauptete nun wieder, alleine gehandelt zu haben und rühmte sich, die Vernehmungsbeamten des BKA „verarscht“ zu haben. R. verstand auch nicht, warum Markus G. eine Tatbeteiligung gestanden habe, obwohl er gar nichts gemacht habe. „Ich weiß nicht, ob die dem ne Knarre an den Kopp gehalten haben“, erzählte er dem Gutachter. G. hatte zunächst ohne Beisein seines Anwalts gestanden, dann widerrufen und erneut gestanden.

Kurz vor Weihnachten wurden dann die Hoffnungen von Felix K. und Christian B. jäh zerstört. Der Haftbefehl wurde beim Haftprüfungstermin aufrechterhalten. Im Januar erneuerte Markus G. dann sein Geständnis und bezichtigte sich und die anderen drei Inhaftierten in einem öffentlichen Brief der Täterschaft. Ende Februar ließ dann das Düsseldorfer OLG die Mordanklage gegen das Quartett zu. Bernd Siegler

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