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Lebenslange Haft für Paul Touvier gefordert

■ Plädoyer in Frankreichs NS-Prozeß: „Verbrecher gegen die Menschlichkeit“

Versailles (taz) – „Paul Touvier war kein Statist in der Miliz von Lyon – er war ein Entscheidungsträger. Er wußte, was er tat, und er wußte, was die Nazis wollten.“ Mit diesen Worten beschreibt Oberstaatsanwalt Hubert de Touzalin den früheren Aufklärungschef der Lyoner Miliz als schuldig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

Viereinhalb Wochen nach Beginn des Verfahrens in Versailles forderte der Oberstaatsanwalt am Montag die Höchststrafe für Touvier, der vor einem halben Jahrhundert sieben jüdische Männer ermorden ließ. Der 79jährige Angeklagte ist der erste Franzose, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht kam.

Weder die seit den Morden vergangenen 50 Jahre noch das hohe Alter des Angeklagten und schon gar nicht dessen „selektive Amnesie“ rechtfertigten ein anderes Urteil, sagte de Touzalin. „Die Erinnerung an die Opfer verträgt keine Nachsicht“, betonte er.

In seiner vier Stunden und 15 Minuten langen Rede rekonstruierte der Oberstaatsanwalt die Blitzkarriere des ehemaligen Eisenbahners Touvier bis zu dessen Spitzenfunktion in der Miliz, der Polizei im Frankreich des Vichy- Regimes. Er beschrieb den „manifesten Antisemitismus“ der Gesetze von Vichy und das „Leiden Frankreichs“ in den Jahren der deutschen Besatzung, wo die „einen für Vichy waren und die anderen für London“ (wo die Führung der Résistance saß). De Touzalin sagte: „Es gab Résistants, aber es gab auch Milizionäre. Und es gab Opfer – vor allem Juden.“

Eine Anklage gegen das Vichy- Regime erhob der Oberstaatsanwalt dennoch nicht. Denn es gebe „keinen Beweis“, daß Vichy eine Vergeltung für den Mord an seinem Informationsminister Philippe Henriot verlangt habe. Jenes politische Attentat galt der Miliz als Vorwand für die sieben Morde von Lyon – „zur Vergeltung“.

Mit einem ausführlich vorgetragenen Organigramm, das von Berlin über Paris bis nach Lyon reicht, erklärte der Oberstaatsanwalt dennoch die Eingliederung der Miliz in das Polizeisystem der Nazis. Touvier, der damals 29jährige Chef der Aufklärung bei der Miliz von Lyon, sei das „symmetrische Pendant“ zu dem dortigen deutschen Gestapo-Chef, Klaus Barbie, gewesen.

De Touzalin erinnert Touvier an die 21-Punkte-Erklärung der Miliz, auf die der Angeklagte 1943 einen Schwur geleistet hat. „Gegen das Vergessen von Verbrechen, für die Züchtigung der Schuldigen“, heißt es darin. „Die Todesstrafe ist 1981 abgeschafft worden“, sagt der Oberstaatsanwalt, „davon profitiert Touvier.“

Verteidiger Jacques Trémolet de Villers hält seinen Mandanten für unschuldig. Er stützte sein gestriges Plädoyer auf eine Behauptung Touviers, die im Laufe des Verfahrens immer wieder auftauchte, ohne daß je auch nur die Spur eines Beweises dafür gefunden wurde. Der Angeklagte hatte erklärt, daß die deutschen Besatzer hundert Menschenleben „verlangt“ hätten. Sein Vorgesetzter bei der Miliz habe auf dreißig „heruntergehandelt“, und er selbst habe schließlich „nur“ sieben „hingerichtet“. Nach dieser makabren Arithmetik hat Touvier 23 Menschenleben gerettet. Für seinen Verteidiger ist Touvier deshalb ein zweiter Oskar Schindler. Dorothea Hahn

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