piwik no script img

Moral 'n' Roll im Kühlgewand

Links-Sein als Pop-Modell: Cpt. Kirk & und The More Extended Versions über Berlin  ■ Von Gerrit Bartels

Treffen sich eine Wiener und eine Hamburger Band und stellen zumindest eine große Gemeinsamkeit fest: Beide entpuppen sich als Fans von Robert Wyatt, dem Großmeister des sozialistischen Pop-Songs. Und so kam es, daß die „More Extended Versions“ aus Wien und „Cpt. Kirk &“ aus Hamburg eine Platte namens „Round About Wyatt“ machten, die einerseits eine Hommage an den Marxisten Wyatt ist, andererseits ein Album über Popmusik und ihre Rezeption. Was keineswegs heißt, daß hier eine „Supergruppe“ einen trüben und undurchlässigen Sound-Teig anrührt, sondern Cpt.Kirk & auf ihre mittlerweile typische jazz-beeinflußte „elegante“ Art ihre Songs vortragen, und die Extended Versions ihre orientalisch anmutenden Versionen folgen lassen.

Tobias Levin von Cpt.Kirk war nach eigener Aussage schon früh beeindruckt von Wyatt-Musik. Sie klang für ihn, „als würde sie aus einem Handicap heraus gemacht werden“. Womit er nicht die Tatsache meint, daß Wyatt seit 1973, nach einem volltrunkenen Sturz aus dem Fenster, gelähmt ist, sondern „daß er aus dem Handicap einer politischen Organisation heraus gesungen hat. Er schreibt und singt ja nicht gerade über die Glorie der kommunistischen Partei, sondern im Gegenteil über den Zusammenbruch von Partei und Idee“.

Für Levin war der Glaube an eine „Idee“ faszinierend, weil sie in die achtziger Jahre fiel, in eine Zeit, da er selbst so etwas kaum für möglich gehalten hatte. „Die Musik berührte einen so, daß sie dich zum Komplizen im Geiste machte. Für uns war Wyatt, rein biographisch betrachtet, ein Nachfolger von Gang Of Four, die immer linke Themen zu einem Pop-Modell gemacht haben, nach draußen geschleudert haben, während Wyatt nie eine Pop-Ikone sein wollte; und trotzdem auf die verschiedene Lesbarkeit seiner Themen hinweisen wollte – introvertierter, anheimelnder für uns, die wir gerade unsere ,Aga-aga-hey-Gitarren-Stakkato-Sachen hinter uns gebracht hatten.“

Auf „Round About Wyatt“ beziehen sich die Extended Versions, die schon vor zwei Jahren einen Streifzug durch das Wyattsche ×uvre unternahmen, sehr direkt auf Wyatt, „benutzen seine Lesbarkeit unmittelbar“, wie Levin sagt, während Cpt.Kirk & versuchen, das Wyattsche Prinzip des „Coverns aus unterschiedliche Zusammenhängen“ zu übernehmen: „Wyatt ist ja auch nicht gefragt worden: ,Warum coverst du I'm a believer von Neil Diamond, etwas weil du verliebt bist?‘ Und er würde antworten: Nein, oder vielleicht doch, nämlich in die kommunistische Partei!“

Diese unterschiedliche Anwendbarkeit von Songs, seien es Pop- oder Protest-Songs, interessiert einen wie Levin natürlich auch jetzt, in den Neunzigern, und so war es nur logisch, daß für „Round About Wyatt“ ein Song von Cypress Hill gecovert und, zwar leicht, aber umso entscheidender, abgeändert wurde. „Man bekommt ja mit, wie angesagt HipHop ist, ein großes Jugendding mit Konsequenzen für Klamotten, Gestik und anderen Dingen. Und dann stehe ich beim Cypress-Hill- Konzert in Hamburg, und er singt Here's something you can't understand, how I just kill a man, und das Publikum singt Wort für Wort nach, und man denkt: Hey Jungs, the other way around, er hat grad zu Euch gesagt, Ihr kapiert das nicht! Bei HipHop funktioniert das nicht mehr so richtig. Das nehme ich keinem übel, doch ich wollte da mal drauf hinweisen, weswegen es wichtig war, aus dem Ich die dritte Person zu machen.“

Zu aktuellen Ehren kommt auf „Round About Wyatt“ auch „Fascist Friend“, ein Song der Specials, den Levin als „Cool Moral 'n' Roll“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die er „schon immer mal verwenden wollte“. Das „cool“ erfolgte, weil Cpt.Kirk & in Verbindung mit Begriffen wie „Hamburger Schule“ (der sie zusammen mit Blumfeld, Die Sterne u.a. zugerechnet werden) und „P.c.-Klüngel“ öfters als Moralapostel hingestellt wurden, und „es ja nichts uncooleres gibt, als moralisch zu sein!“

Gerade betriebsblindes Cool- sein, die automatische Übernahme von Posen, die längst nicht mehr stimmen, sogar reaktionär geworden sind, ist für Levin aber ein gefährliches, „wo Konnotationen übernommen, Pointen aus dem rechten Bereich abgezogen werden“, frei nach dem Motto: Politiker bekommen nichts auf die Reihe, der Kapitalismus ist scheiße, oder es ist wichtig und toll, daß viele Bands in Deutschland wieder die eigene Sprache benutzen.

Andererseits schaffen deutsche lyrics noch lange keine „deutsche Identität“ im negativ-chauvinistischen Sinne – was Tobias Levin natürlich auch weiß, wurde doch gerade ihre 91er-Platte „Reformhölle“ wegen ihrer inhaltlichen (Un-)Verständlichkeit schwer diskutiert. „Die gleiche Sprache in einem bestimmten Raum, und gleich ist Verständnis da? Das ist absurd. Das Tolle an Popmusik ist doch, daß sie sich nicht an Regionalismen orientiert, daß sie universell ist! Ich habe sicher keinen Bock, mich auf eine deutschrockende Identität für Popmusik festnageln zu lassen.“

Sonntag, 24.4., 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße, Schöneberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen