: Ein Yad Vashem in Berlin Mitte
Der künstlerische Wettbewerb zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas hat begonnen / Offen bleibt, ob es ein Denkmal oder ein Museum werden soll ■ Von Anita Kugler
Berlin (taz) – Noch ist das riesige Terrain zwischen Pariser und Leipziger Platz in Berlin eine einzige Ödnis. Nicht einmal Gras ist über den Sand gewachsen, der 28 Jahre lang Todesstreifen war. Anderthalb Meter unter diesem Sand liegen die Reste des 1000jährigen Reiches, neben den Unterkünften der SS-Leibstandarte Adolf Hitler die weitverzweigten Bunkeranlagen der Neuen Reichskanzlei. Von hier aus befahl Hitler im März 1945, alle Versorgungs-, Verkehrs- und Industrieanlagen Deutschlands zu zerstören. Hier unter der Erde verkündete er einen Monat vor seinem Tod, am 2. April 1945: Man werde „dem Nationalsozialismus ewig dafür dankbar sein, daß ich die Juden aus Deutschland und Mitteleuropa ausgerottet habe“.
Jetzt soll wenige Meter neben diesem Ort das zentrale deutsche Denkmal für die ermordeten Juden Europas entstehen. Am Ort der Täter soll der Opfer gedacht werden, allerdings nur der jüdischen. So wollte es die Initiatorin des Denkmals, die Fernsehjournalistin Lea Rosh. Fast fünfzig Jahre nach Kriegsende, kam erst die große Koalition von Bund, Land und dem von Lea Rosh gegründeten „Förderverein zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ zustande. Vor ein paar Tagen erschien in allen überregionalen Zeitungen die gemeinsame Ausschreibung zu einem künstlerischen Wettbewerb. Über 200 Architekten und Künstler haben sich die Unterlagen seither abgeholt, mindestens 400 Bewerber um den großen Preis wird es geben, sagt die Berliner Senatsbauverwaltung. Mit dabei werden zehn eigens geladene internationale Künstler sein, darunter die Bildhauerin Rebecca Horn.
Der brisanteste Wettbewerb, den es je gab
Die Vorgaben zu diesem „brisantesten Wettbewerb, der je in Deutschland stattfand“, (New York Times) sind von den drei Auslobern denkbar weit gehalten. Es ist noch nicht einmal entschieden, ob das Denkmal ein Denkmal oder ein Museum werden soll. 20.000 vom Bund gestellte Quadratmeter im nördlichen Teil der Ministergärten stehen zur Verfügung, die „Möglichkeit von Skulptur mit gebauten Raum ist gegeben“. So steht es im Ausschreibungstext. Nicht das Resultat, sondern das Ziel ist definiert. Und auch dies läßt Platz für viel schöpferische Phantasie. „Heutige künstlerische Kraft soll die Hinwendung in Trauer, Erschütterung und Achtung symbiotisch verbinden mit der Besinnung in Scham und Schuld. Erkenntnis soll erwachsen können, auch für künftiges Leben in Frieden, Freiheit, Gleichheit und Toleranz“, heißt es da. Da wird es noch viel Diskussionen geben in der 15köpfigen Jury. In der Tat ist es eine fast unlösbare Aufgabe, dem Gedenken an die Millionen in ganz Europa erschossenen, vergasten, verbrannten Juden so Ausdruck zu geben, daß es auch nächsten Generationen unter die Haut geht und im Kopf bleibt.
In der Jury sitzen unterschiedliche Köpfe zusammen. Neben Lea Rosh und dem Historiker Eberhard Jäckel auch der Schweizer Architekt Harry Szeemann. Dessen ursprünglicher Vorschlag, eine oberirdische Plastik und unter der Erde eine sternförmig arrangierte Reihe von Räumen, in denen das Leid länderspezifisch dargestellt sein soll, hatte der Förderverein favorisiert. Jetzt sitzt Szeemann selbst in der Jury und wird für ein Gedenkzentrum votieren. Unterstützt werden könnten diese Absichten vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Vorsitzende Ignatz Bubis machte nie ein Hehl daraus, daß er in Berlin ein zentrales Dokumentationszentrum errichtet haben will. „Der Schock alleine reicht für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht“, sagte er kürzlich, „ein Denkmal reicht nicht“. Den Vertretern des Bundes, darunter Ex-Wohnungsbauminister Oscar Schneider, könnte es jedoch reichen. Nach dem Protest gegen die Täter und Opfer gleichermaßen berücksichtigende Gedenkstätte Neue Wache braucht die Bundesregierung vorrangig einen Platz, an dem Staatsgäste in Begleitung von Repräsentanten jüdischen Lebens Kränze niederlegen können. Anfang 1995 will die Jury entscheiden, 1996 soll das Ergebnis zu sehen sein.
Bubis: „Ein Denkmal allein reicht nicht“
Für Bearbeitungshonorare und Preise stehen 900.000 Mark zur Verfügung, für die Realisierung 15 Millionen Mark. Davon kommen je vier Millionen von Bund und Land und die restlichen acht Millionen vom Förderkreis-Mitglied und Potsdamer-Platz-Großinvestor Edzard Reuter. Das ist großzügig, verdeckt aber eine moralische Geldschuld, die Daimler- Benz an anderer Stelle nie bezahlt hat. Das Geld nämlich, was Zwangsarbeiter – darunter viele jüdische – für ihre Sklavenarbeit als Entschädigung hätten bekommen müssen, aber bis heute nicht erhalten haben. Am 5. Mai wird der Daimler-Chef bei einer Pressekonferenz die Acht-Millionen- Spende offiziell bekanntgeben.
Die öffentliche Diskussion in Berlin beginnt gerade erst. Stimmen wie die des israelischen Generalkonsul Mordaichi Levy sind bis jetzt selten. Er befürchtet, daß mit der Errichtung eines zentralen Memorials all die lokalen und regionalen Gedenk-Initiativen abgewimmelt werden könnten. Die Befürchtung besteht zu Recht. Vor ein paar Tagen erklärte der Vorsitzende der Berliner CDU-Fraktion Klaus Landowsky. „Die derzeitige Überflutung des Stadtbildes mit Gedenktafeln und Gedenkstätten sei kein Beitrag zur Geschichtsbewältigung“, und deshalb befürworte er ein „Holocaust Gedenkzentrum“ in Berlin.
Auch die Debatte, wo das von Bund und Land geplante Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma hin soll, hat noch nicht begonnen. Ein gemeinsamer Platz, so wie es Romani Rose wollte, kam für den Förderkreis und Ignatz Bubis nicht in Frage. Als Ausweichort hat die Berliner Bauverwaltung deshalb kürzlich ein Gelände dicht neben dem Reichstag vorgeschlagen. Im Juni will sich der Senatsausschuß „Berlin 2000“ mit Standortfragen beschäftigen.
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