: "Wir geben 'ne Party"
■ Klobige Schuhe und schräge Töne: Der europäische Schlagerwettbewerb in Dublin
Die drei jungen Frauen sehen aus, als übten sie täglich ihre Posen – für Bravo oder Petra. Sie heißen Melanie Bender, Kati Karney und Dorkas Kiefer. Zusammen bilden sie ein Trio, das – aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen gebildet – „Mekado“ heißt. Sie wären kaum der Rede wert, stünden sie nicht seit Montag im irischen Dublin auf der Bühne, um für den – mutmaßlich einzigen – großen Auftritt in ihrem Leben zu üben.
Am Samstag singen sie auf dem größten europäischen Schlagerwettbewerb für Deutschland. „Wir geben 'ne Party“ heißt das Lied, mit dem der Mitteldeutsche Rundfunk zu gewinnen hofft.
25 Länder nehmen am 39. Grand Prix d'Eurovision de la Chanson teil, darunter sieben Neulinge: Ungarn, Polen, Rumänien, Estland, Litauen und die Slowakische Republik. Sie alle, die Sängerinnen und Sänger mit Namen wie Friderika Bayer, Edyta Gorniak, Youddith oder Ovidijus Vishnijaukas, haben nur eines im Sinn: Meriten zu sammeln für die heimischen Popmärkte oder gar Verträge zu erhaschen für den größten Musikmarkt der Welt: Europa.
Daß sie dies bei der nach Ansicht von seriösen Kulturkommentatoren „unwichtigsten Musikveranstaltung des Jahres“ tun, macht den Wettbewerb in Dublin nur unterhaltsamer. Wo sonst wird ein Ereignis mit Punktevergaben inszeniert, ganz so wie beim Bingo oder bei den Lottozahlen? Hobbyjuroren in mindestens 45 Ländern werden vor ihren TV-Geräten wieder mitstimmen: Sonderpunkte vergeben für die schönste Frisur, die klobigsten Schuhe, den dicksten Kajal-Lidstrich oder den schrägsten Ton.
Dabei umweht den Grand Prix seit vergangenem Jahr ein Hauch von Sportlichkeit: Weil nicht mehr als 25 Länder mitmachen dürfen, bis dato aber 32 Länder ihren Wunsch geäußert haben, dabeizusein, müssen alljährlich die sieben schlechtesten absteigen – und ein Jahr aussetzen. Im letzten Jahr traf es Belgien, Luxemburg, Dänemark, Israel, Zypern, Slowenien und die Türkei. Weil aber Italien zurückzog und erst 1995 wieder ein Canzone ins Rennen schicken wird, durfte Zypern doch wieder seine Koffer packen.
Die Sorgfalt, die Länder wie Schweden, Norwegen oder Malta ihrem Beitrag zur trashigsten Schlagersache der Welt entgegenbringen, wird in Deutschland nicht nachgeahmt. Der MDR, nach der Wendezeit bekanntlich mit schärfster Aufbauhilfe vom CSU-lastigen Bayerischen Rundfunk gesegnet, ist ARD-weit für die Liedsuche zuständig. Nichts ließ man unversucht, Komponisten und Texter moderner Popmusik auszugrenzen. Rio Reiser, Ulla Meinecke, Ina Deter, Herbert Grönemeyer oder türkische Komponisten, die in Deutschland ihre sechsmillionenköpfige Kundschaft bedienen, wurden gar nicht erst gefragt. Statt dessen – die Entscheidungswege mag der MDR nicht erhellen – fragte man wieder Ralph Siegel und Bernd Meinungen. Das Duo, das seit Nicoles „Ein bißchen Frieden“ immer den gleichen Die- Welt-ist-schlecht-muß-friedlicher- werden-Mindersinn abliefert und mit der aktuellen Entwicklung auf dem deutschen Popmarkt soviel zu tun hat wie Anneliese Rothenberger mit Grunge, hatte offenbar wieder über den Kanal des Bayerischen Rundfunks den besten Draht – ohne Vorentscheidung.
Trotz der dubiosen Berufung wird „Mekado“ nicht absteigen müssen, dazu servieren die anderen Länder zu viele Balladen. Das nervöse „Wir geben 'ne Party“ gibt sich vom Text her aufdringlich jugendlich und stimmlich wie eine Phantasie aus der Barbiepuppenwelt – eine allerdings, aus der der Glamour getilgt wurde. Beim MDR hieß es, man habe etwas Flotteres und etwas Weibliches gewünscht – auf daß die Juroren schwach werden. Offen ist, ob sie die Punkte aufgrund der hektischen, angerappten Melodie oder eher aufgrund der sekundären Geschlechtsmerkmale geben werden.
Zu den Favoriten: Genaues läßt sich nach den ersten Proben nicht sagen. Bosnien-Herzegowina singt – was sonst? – vom Frieden. Islands Botschafterin Sigrun Eva Armanns-Dottir verbreitet Frömmigkeit mit dem Titel „Neitur“, und der Herr Vishnijaukas aus Litauen sieht aus wie ein Lederkerl, der für ein festliches Ereignis von Chaps und Cockringen befreit wurde; nicht unlecker, das. Malta wird repräsentiert von der schönen, immer etwas muffig guckenden Moira Stafrace, deren Kompagnon Chris Scicluna auf der Bühne nicht weiter stört: „More than love“ schwören sie. Es klingt hübsch sommerlich. Norwegen, sehr pikant, schickt die 38jährige Elisabeth Andreasson und den 17jährigen Jan Werner Danielsen auf die Showtreppe: „Duett“ singen sie, was durchaus als gemeinsames Röhren auf ein pädophil anmutendes Verhältnis gedeutet werden darf – mächtig das Lied, sehr.
Wer die größte Peinlichkeit nicht versäumen will: Österreich geht mit Petra Frey an den Start – etwa gegen 22.20 Uhr. Unglaublich, wie oft frau sich in drei Minuten versingen kann– bei einem Stimmumfang von bestens einer viertel Oktave hat sie schon einen Mitleidspunkt verdient –, weshalb sie gewiß nicht in Tränen auszubrechen braucht, wenn sie ihre Entourage zum Abstieg verdammt. Jan Feddersen
Der 39. Grand Prix d'Eurovision de la Chanson wird am Samstag um 21 Uhr live von der ARD übertragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen