: Neue Platten
OSTZONENSUPPEN-WÜRFELMACHENKREBS
Keinseier
L'Age D'Or/EWM
Euer Merkwürden, wie sollen wir das verstehen? Wo ist der heimliche Sinn dieser Platte versteckt? Wie können wir diesen elaborierten Code entschlüsseln? Übungsraum-Sound, rein instrumentale Kompositionen, deren Rauheit man Fahrlässigkeit schimpfen würde, wüßte man um die Band nicht ein Besseres. Keine Titel, keine Lieder, einfach Zusammenspiel, mal rockig, mal rockig-additiv, mal folkig-quer. Gut, am Ende klingt es entfernt ein wenig wie Robert Fripps Tonband-und-Gitarren-Experimente, gelegentlich erinnert man sich auch an die Polit-Kunst-Rocker Red Crayola, aber im Großen klingt die dritte Platte der Hamburger Musik-Tristam-Shandys doch immer und immer wieder wie eine Übungsraumsession lang bekannter Freunde, die nicht recht wissen, wohin mit ihrer überschüssigen Energie. Oder haben wir hier etwas ganz falsch verstanden? Keinseier erklärt sich leider nicht. Das ist sicherlich Absicht, und langjährige Bunker-Mucker mögen mit dieser Platte auch in nostalgischer Erinnerung ihre Hütte bespielen. Aber dann? Probieren Sie es selbst, das wird das Klügste sein.
tlb
FETTES BROT
Mitschnacker
Yo Mama Records/EWM
Drei Jungs aus Schenefeld, Pinneberg und Halstenbeck (was auch immer solch detaillierte Ortsangaben über den Geisteszustand von Bands aussagen) wollen irre lustig sein und geben sich den spaßigsten aller Namen. Mit ihrem Opener „Die Definition von Fett“ nehmen die drei Kasper einem dann sogleich den Wind aus den Segeln und definieren wild darauf los. In ihrer „definition of a bombastic fat style“ hört man mit Ohrenbluten, daß „Sonnenschein auch fetter als Regenwetter und fettes Brot besser als dünnes ist.“ Selbst wenn „fett“ oder „phett“ bei manchen spracharmen Wortmaschinen bereits als Synonym für „geil“ geführt wird, bleibt alles an dieser Platte, außer der smarten Instrumentierung, reichlich gaga. So richtig locker wollen sie auch sein, was man angesichts von HipHop-Polizisten wie den Absolute Beginners direkt sympathisch finden mag. Von deren langwierigen Ausführungen über den alltäglichen Rassismus, bleibt aber lediglich „Schwarzbrot, Weißbrot, wir scheißen auf den Farbcode!“ Wahre Worte dann in ihrer Selbstverhöhnung auf der gegröhlten Endlos- und Auslaufrille: „Wir sind so richtig schlecht.“ Eigentlich sind Fettes Brot noch nicht einmal lustig, sondern eben alberne Mitschnacker, denn Humor war noch nie das Gegenteil von Ernst, die Verneinung von Seriosität. Volker Marquardt
MENTALLY DAMAGED
Punge Grunk
Wolverine Records/SPV
Das sind sie, die unvermeidlichen Folgeerscheinungen einer omnipräsenten aktuellen Jugendmusikkultur, die durch alle nicht ganz abgedichteten Wahrnehmungsritzen dringt und sich in den eigenen vier Wänden dann als komplette Realität mit allen Schattierungen und Gut-Schlecht-Modellen aufbläst. Aus einer solchen Wirklichkeit heraus produziert, so mundet Mentally Damageds Einstand in die Welt der Veröffentlichungen: Punge Grunk ist dabei lediglich die umgedrehte Hinweistafel. Was klingt ist von allem sehr viel; viel trockenes, nach vorne gedrücktes Schlagzeug, viel eifernder Bass, viel vollmundige, gern auch jaulende Gitarre, sehr viel klagend-offensiver, sich überschlagender Gesang. Viel in diese Produktionsdemokratie hinübergerettete rattenfängerische 80er-Melancholie und vereinnahmende Geste, wie entnebelte New Model Army, um mal einen fade schmeckenden Namen einzuwerfen. Die gesammelten Eindrücke des Wohnzimmers sind jedenfalls bis zum Überlaufen abgefüllt. Grunge allerdings, dieses nach wie vor hilflos-klangmalerische, vor Metaphern schützende Smalltalk-Monster ist, als grobschlächtige Ästhetik dekodiert, hier nicht drin. Trotz aller Anreicherungen, Stilelemente und Soundeskapaden, die in Kritiken und Selbstverständnissen gerne als eigenständige Attribute mißverstanden werden, hier ist immer ein schnurgerader Kurs, gemeinhin Punk genannt, drin. uschi steiner
FISCHMOB
Ey, Aller
DDR/EFA
So kann deutscher Rap sein. Nicht immer dieses Pseudo-Rassismus-Geplapper, das doch nur umgedichteter South-Central-Fetischismus ist, sondern ein Stück über Haue. Kleine Szene vom Hamburger Berg mit 'nem echten Proll im Off. Das ist Deutsche Wirklichkeit bis zum gebrochenen Kiefer. Daß es trotzdem lustig ist, hebt nur die Qualität. Nette Stimmen, schleppender Beat, bitte wiederkommen.tlb
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