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„Scheibe ist Scheibe“

Und sein Team weder stark noch schwach / Bukac will trotz eines 0:6 gegen Rußland heute gegen Italien ins Viertelfinale der Eishockey-WM  ■ Aus Bozen Peter Unfried

Man kann nicht sagen, daß alles hier in Bozen bislang ausnehmend gut gelaufen ist für die deutsche Mannschaft. Aber, Ludek Bukac ist Philosoph – gelernter und promovierter – genug, um auch nach dem samstäglichen 0:6 gegen Weltmeister Rußland die Situation in all ihrer Dialektik zu erfassen. „Wir müssen stufenweise denken“, hat er gefordert und davon gesprochen, daß man den „größten Druck“, Abstieg aus der A-Gruppe geheißen, immerhin schon mal ausgeschlossen habe. Die zweite Stufe, hat er ergänzt, ist, „daß wir uns für die Runde der acht besten Eishockey-Nationen qualifizieren wollen“. Dazu braucht man aller Wahrscheinlichkeit nach noch Punkte. Folglich „haben wir gegen Italien diesen Druck“. Nicht den ganz großen, möchte er gern glauben machen.

Doch damit verkennt er natürlich wissentlich die Situation. Mindestens das Viertelfinale muß es schon sein. Ist seine eigene Schuld, weil der Prager seit Amtsantritt 1991 nicht nur die Ergebnisse peu à peu verbessert hat, sondern in deren Schlepptau auch die Erwartungen vergrößert. Außerdem sollte man auch noch einigermaßen gut spielen: Beides ist bisher in Bozen nicht recht gelungen.

Hätte man nach dem 2:3 gegen Kanada noch, wie Neustürmer Greg Evtushevski als „moralischen Sieg“ gefeiert, bei dem man „gemerkt hat, daß wir mithalten können“ (Kollege Jan Benda), muß man nach der Erfahrung des Rußland-Spiels schleunigst umdenken. Dort nämlich „meinten wir, mitspielen zu müssen“, wie Michael Rumrich selbstkritisch beklagte. Die Folge. „Die haben uns furchtbar bestraft.“ Für manch einen kam das alles andere als überraschend. Brian Lefley, Trainer der Italiener, sah die Sache so. „Wenn man die Aufstellung der Russen anschaut – und wie sie spielen: Das ist eine Supermannschaft.“ Nicht zu vergleichen mit jener Viktor Tichonows, die man in Lillehammer 4:2 geschlagen hatte. Tatsächlich hat Boris Michailow die mit Verspätung eingetroffenen acht NHL-Spieler mittlerweile trefflich integriert. Die Russen haben eine erstaunliche Mischung gefunden, aus Kreativität, die auf technischer Klasse basiert, nüchterner Effektivität und erstaunlicher Körperlichkeit.

Alles was man dagegen tun kann, ist hinten zu bleiben, versuchen, die blaue Linie zu halten, und bei Scheibenbesitz dieselbe nach vorne zu wuchten und vorsichtig hinterherzumarschieren. Einfach gesagt, wenn einen eine volle Halle nach vorne brüllt und man folglich „ein bißchen Show machen will“ (Evtushevski). Weil man sich richtigerweise nicht mehr zu den Schwachen zählen mag, die das tun. Aber eben auch nicht stark genug ist, wie sich herausgestellt hat, um es lassen zu können. „Wir stehen dazwischen“, hat Bukac erkannt. Was zwar Stillstand bedeutet, aber mit umgekrempelter Mannschaft und ohne einige Leistungsträger auch nicht verwunderlich ist. Das Problem: „Die Starken“, sagt der Prager, „wissen, daß sie aufpassen müssen.“ Und die Schwächeren? „Konzentrieren sich auf uns, weil sie sich eine Chance ausrechnen.“ Gewinnen können die Deutschen nur, wenn sie selbiges tun, immer Volldampf geben und die taktische Vorgabe konsequent umsetzen.

Das Schöne an Ludek Bukac: Der stille Mann gibt die Schuld nicht einmal dann an die Mannschaft weiter, wenn sie sie verdient hätte. Auch das ist ein Indiz dafür, daß er weiß, daß der Streß groß genug ist. Das merken zum Beispiel die Torhüter Merk und Heiss, die nun zwar nicht mehr hinter Helmut de Raaf zurückstehen müssen, aber das auch nicht mehr dürfen. „Die psychische Belastung für sie“, sagt Bukac, „ist größer als früher.“ Als noch jeder „seinen eigenen Job“ hatte, der eine mal hier, der andere mal dort ran durfte. Auch das ist einer jener kleinen Minuspunkte, die sich summieren.

Andererseits, glaubt Bukac, habe er auch noch einiges Positive in der Hinterhand. Den körperlichen Zustand der Spieler, zum Beispiel. Während die Italiener aus Mangel an Masse durchgehend mit drei Sturmlinien agiert haben, haben die deutschen Trainer dosiert, zweimal zwar Vollgas gegeben, zweimal aber auch alle eingesetzt. Folglich war das gar nicht lapidar dahingesagt, als Bukac nach dem Rußlandspiel erklärte, er sei „zufrieden“, weil „alle Spieler gesund“ seien. Der Rest, sagt er, etwa die mangelnde Chancenauswertung im Powerplay, sei eine „Sache der Psyche“. Folglich eine Nervensache. Was ist also zu tun?

Michael Rumrich, Berliner Stürmer, glaubt es zu wissen. „Wir brauchen nur das Spiel zu gewinnen“, hat er gesagt, „und dann ist alles klar.“ Das deutet auf gesunde Psyche hin, dürfte im deutschen Team mehrheitsfähig sein. Zwar weiß keiner besser als Ludek Bukac mit geballter Erfahrung aus 28 Spieler- und Trainerjahren, daß „Scheibe Scheibe ist“, „aber“, sagt er, „Wir wollen das schaffen.“

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