: Was zählt, ist die Eroberung
Zwei Jahre nach dem Trubel um Kolumbus feiern heute auch die Kanarischen Inseln ihre Conquista – Gegenkampagne inklusive / Lateinamerikanische Prägung ist ständig präsent ■ Aus Teneriffa Bert Hoffmann
Hinter den Eisbechern der Touristen rinnen überdimensionale Blutstropfen von den Plakaten: „3. Mai – Raub, Mord, Sklaverei“. Daneben verschleppen spanische Soldaten gefesselte Ureinwohner. Protest gegen den „widerlichsten aller Feiertage“: Zwei Jahre nach dem großen Trubel um Kolumbus und Conquista feiern heute auch die Kanarischen Inseln das 500-Jahre-Jubiläum ihrer Eroberung, Gegenkampagne inklusive.
Die Parallele ist kein Zufall. „Es wird ja oft vergessen, wie lateinamerikanisch wir sind“, sagt Judith Heras. Sie kommandiert die mit Fotoausrüstung und Videokameras bewaffneten Invasoren der Gegenwart in die Gondeln, die auf den Teide fahren. Der schneebedeckte Gipfel ist nicht nur das Wahrzeichen Teneriffas, sondern auch der höchste Berg Spaniens. Europa? Sicher, die Kanarischen Inseln gehören zu Spanien, sie sind damit der südlichste Außenposten der EU. Politisch stellt dies auch kaum jemand ernsthaft in Frage, selbst wenn seit den letzten Wahlen eine regionalistisch angehauchte Kanarische „Koalition“ den Archipel regiert. Doch für die Inseln zwischen den Kontinenten ist Brüssel zehnmal weiter entfernt als Afrika. So kommt es auch, daß sich die Separatisten hier, nach dem Vorbild des ANC, „Kanarischer Nationalkongreß“ nennen. Vielleicht ist aber gerade das auch ein Symptom für ihre geringe Verankerung in der Bevölkerung; denn die historischen und emotionalen Bande der kanarischen Gesellschaft weisen, wo sie nicht ins Mutterland Spanien gehen, nach Westen, über die „Pfütze“, wie man hier sagt, nach Lateinamerika. Über Jahrzehnte, Jahrhunderte hinweg, als die Inseln das Armenhaus Spaniens waren, sind Tausende von Kanariern nach Lateinamerika ausgewandert, in diesem Jahrhundert vor allem nach Venezuela, als das reiche Ölland Arbeitskräfte suchte.
Im kanarischen Alltag ist diese Prägung ständig präsent. Die Busse heißen guaguas wie in Kuba, die Kartoffeln papas wie in Südamerika, nicht etwa patatas wie in Spanien. Der Kaffe aus der Rösterei in Teneriffa trägt den Markennamen „Caracas“. Und in der örtlichen Zeitung kommt, nachdem auf rund 20 Seiten das Geschehen auf den sieben Inseln abgehandelt ist, tagtäglich eine Seite aktuelle Berichte aus „Venezuela, der achten Insel“. Erst danach Spanien und der Rest der Welt.
Allerdings, wenn man hier dem Kolumbus-Datum um zwei Jahre hinterherhinkt, stellt dies die historische Entwicklung auf den Kopf. Natürlich wurden die Kanarischen Inseln lange vor Amerika entdeckt, schon von den Phöniziern um 1000 vor Christus, wenn man den Historikern glauben darf. Die Inseln waren der griechischen Antike bekannt, den Arabern, ein Kaufmann aus Genua verirrte sich hierher, als er eigentlich nach London segeln wollte. Der diffuse Stoff eignet sich freilich nicht für Staatsfeiertage; was zählt, ist die Eroberung. Und auf den Tag genau heute vor 500 Jahren, so will es die Chronik, hieben die spanischen Eroberer auch auf der letzten der Kanarischen Inseln ihr Kreuz in den vulkanischen Boden und gründeten Santa Cruz de Tenerife. Drei Jahre und drei blutige Schlachten später war das einheimische Volk, die Guanchen, endgültig geschlagen.
Das doppelte Jubiläum nun hat auch auf den Kanaren zu einem kritischen Rückblick auf die Geschichte der Eroberung Anlaß gegeben. Aber auch zu einer fulminanten Revision von rechts: Pünktlich zur heutigen 500-Jahr-Feier ist ein Buch – wohl eher: eine Kampfschrift – erschienen, die derartiger Nestbeschmutzung den Krieg erklärt. „Mittels der modernen Forschung“, schreibt ihr Autor Julio Pérez Ortega gleich im Vorwort, „kommen wir zu dem Schluß, daß das historische Geschehen in einer Form zu rekonstruieren ist, die für die Eroberer der Kanarischen Inseln vorteilhaft ausfällt.“ Und dann rekonstruiert er, wie sich die spanischen Konquistadoren dem Schutz des Waldes genauso selbstlos widmeten wie dem Bau von Kirchen und Wohnhäusern, wie sie „gemeinsam mit den Eingeborenen die neue Situation“ meistern wollten und wie, bedauerlicherweise, „die Anpassungsprobleme der Eingeborenen zu Meuterei und Anarchie führten“. Und das, wir ahnen es, kann natürlich keine „geordnete moderne Gesellschaft“ tatenlos hinnehmen...
Sicherlich, derart emphatisch werden die Konquistadoren nicht überall rehabilitiert. Und nicht das ruhmreiche Massaker an den Eingeborenen feiert man heute ja offiziell, sondern die Gründung der Stadt Santa Cruz, ein scheinbar konstruktives Ereignis. Die Rhetorik von heute mag die Leichen im Keller der Geschichte vergessen wollen. Um zu wissen, auf welcher Grundlage die Stadt gewachsen ist, genügt jedoch ein Blick auf ihr Wappen: das heilige Kreuz, das Santa Cruz den Namen gibt, erhebt sich da stolz über drei abgeschlagenen Bärenköpfen, den drei Schlachten, in denen die Guanchen wie Tiere niedergemetzelt wurden.
Die Wirtin der Kneipe „Los Teques“, eine halbe Stunde von Santa Cruz entfernt, interessiert all dies herzlich wenig. Das schönste Ereignis auf der Insel, empfiehlt sie den Besuchern mit leuchtenden Augen, ist die Wallfahrt von Candelaria (bei der alljährlich die Christianisierung der besiegten Guanchen nachgestellt wird). Sie selbst allerdings betreibt eine religiöse Re-Conquista der anderen Art, von Lateinamerika zurück nach Europa. Über zwei Jahrzehnte lang hat sie in Venezuela gelebt, und als sie vor zehn Jahren in ihre Heimat zurückkehrte, brachte sie neben einem bescheidenen Wohlstand auch einen venezolanischen Heiligen mit: eine Gipsfigur mit schwarzem Anzug und Melone, Don José Gregorio Hernández Cisneros, wundertätig vor allem in Krankheitsfällen.
Heute ist ihr Don Gregorio eine offenkundig akzeptierte, sozusagen kanarische Heiligenfigur. Sein Schrein am Eingang von „Los Teques“ ist voller Opfergaben, Fußminiaturen aus Gips, kleine Silberherzen, davor eine ganze Galerie frischer Blumen. Von der ganzen Insel kommen die Leute, erzählt die Wirtin. Dann aber kippt die Richtung der religiösen Eroberung doch wieder um. Bei seiner nächsten Lateinamerikareise wird der Papst, da ist sie sich ganz sicher, ihren Don Gregorio auch in den offiziellen Heiligenkanon der katholischen Kirche aufnehmen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen