: Zum Rendezvous beim Unfallopfer?
■ Die Sparvorhaben des Hamburger Senats bei der Notfallrettung führen zum Dissens zwischen der Feuerwehr, der Gewerkschaft ÖTV und den Hilfsorganisationen Von Kai von Appen
„Sparen, sparen, sparen“, so lautet die Devise von Innensenator Werner Hackmann für die stadtstaatlichen Löscher und Retter. Konkrete Vorgabe an Feuerwehrchef Dieter Farrenkopf: In Zukunft 100 Mann und jährlich zwei Millionen Mark an Sachkosten einzusparen. In einem Papier hat Farrenkopf mögliche Konsequenzen der Rotstift-Vorgaben aufgezeigt: Die Streichung der vier Feuerlöschboote, die Abschaffung des Großraumrettungswagens sowie der Notarztwagen (NAW) oder der uneffektive Acht-Mann-Löschzug.
Derartige Vorstellungen haben nicht nur in der Öffentlichkeit schieres Entsetzen ausgelöst und Hackmann zu ersten Rückzugsgefechten bewogen (“Da ist noch nichts entschieden“). Auch die Hilfsorganisationen (Arbeiter Samariterbund (ASB), Johanniter- sowie Malteser-Hilfsdienst) wurden auf den Plan gerufen. Sie boten medienwirksam an, die von Sparvorgaben gebeutelte Feuerwehr in der Notfallrettung zu „unterstützen“: 40 Rettungs-, zwei Notarztwagen und ein Rettungshubschrauber könnten sofort – für die Stadt kostenneutral – in die Notfallrettung stärker integriert werden.
Bei der Feuerwehr und der Gewerkschaft ÖTV hat dieser Vorstoß Befremden ausgelöst. ÖTV-Sprecher Jens Hnyk: „Ich finde das Verhalten sehr unsolidarisch – Motto: Akzeptiert mal schön die Sparmaßnahmen und konzentriert Euch aufs Brände Löschen, wir übernehmen dann die Notfallrettung.“ Der Vorstoß könne schnell zum „Eigentor“ werden: „Wenn die 40 Wagen sofort locker machen können, stellt sich doch die Frage: Haben die so viel Kapazitäten, daß da teures Gerät herumsteht?“
Obwohl sich Feuerwehrsprecher Wolfgang Lindner zur aktuellen Spardiskussion vor einer Entscheidung der Behördenleitung nicht äußern kann, hat auch bei ihm das Verhalten der Hilfsorganistionen (HIOG) Verwunderung ausgelöst. „Bei Großeinsätzen und der Notfallrettung in Randgebieten sind schon jetzt die Hilfsorganisationen eingebunden.“ Dies schreibt nämlich der öffentlich- rechtliche Vertrag über die schnellstmögliche Notfallrettung vor. Danach muß die Feuerwehr die HIOG in Anspruch nehmen, falls sie eine schnelle Rettung nicht garantieren kann oder ein HIOG-Rettungswagen einen Unfallort schneller erreicht. ASB-Sprecher Christian Joost: „Leider werden die Möglichkeiten dieses Vertrags von der Feuerwehr nur selten genutzt.“ Lindners Konter: „Es ist oft kritisch, einen Rettungswagen zu bekommen, wenn man ihn braucht.“ Grund: Viele HIOG-Fahrzeuge sind in der Krankenbeförderung gebunden, die die Feuerwehr den HIOG fast ausschließlich überlassen hat.
„Es ist inhaltlich sinnvoll, das Rettungswesen in öffentlicher Hand zu behalten“, mahnt daher ÖTV-Feuerwehr-Expertin Sieglinde Frieß. „Den Hilfsorganisationen geht es doch nur darum, die Notfallrettung zu übernehmen, um eine bessere Kostendeckung zu erreichen als in anderen Bereichen.“ Die Feuerwehr bekommt für den Notfalleinsatz – egal ob Rettungswagen (RTW), NAW oder Rettungshubschrauber eingesetzt wird – 533 Mark von der Krankenkasse erstattet. Das könnten dann die Hilfsorganisationen kassieren.
ASB-Sprecher Torsten Harms bestreitet finanzielle Beweggründe: „Es geht nicht darum, sich irgendwelche Pfründe unter den Nagel zu reißen und denen etwas wegzunehmen, sondern die vorhandenenen Ressourcen auszuschöpfen.“ Die HIOG verfügten über eine moderne gemeinsame Leitzentrale, so daß schnelle Notfallrettungsaufgaben wahrgenommen werden könnten. Harms: „Die Feuerwehr braucht dann nicht so viel Personal für den Rettungsdienst vorzuhalten, sondern könnte sich verstärkt ihrem löschtechnischen Auftrag widmen.“
Es sei ein ökonomisches Unding, wenn ein Feuerwehr-RTW auf seiner Anfahrt zum Unfallort eine HIOG-Retungswache passiere, die näher am Einsatzort liege. Wohl wahr, die entscheidene Frage ist jedoch: Steht in der HIOG-Wache gerade ein RTW in Bereitschaft? Harms: „In vielen Städten – wie Köln – sind die Hilfsorganistionen in der Notfallrettung fest integriert.“ Sieglinde Frieß: „Auch wenn es in anderen Städten anders gemacht wird, muß es nicht unbedingt besser sein.“
Selbst unter den Hilfsorganisationen ist das Ansinnen des ASB, der Malteser und Johanniter nicht unumstritten. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat sich explizit dem Vorstoß verweigert. DRK-Sprecher Bernt Edelhoff: „Notfallrettung ist eindeutig Aufgabe der Feuerwehr, wie es im Vertrag über schnellstmögliche Hilfeleistung geregelt ist.“
Selbst beim ASB stößt der Vorstoß intern auf Kritik. Ein Insider: „Würde Hamburg das Angebot annehmen, dann herrscht bei uns das Chaos.“ Der Fuhrpark sei durch die Krankenbeförderung ausgelastet, ohne Kapazitätserweiterung wäre eine adäquate Notfallrettung nicht zu gewährleisten. Beispiel: bisher hält der ASB von seinen 55 Rettungswagen-Besatzungen nachts nur sechs in Bereitschaft. Würden von der Feuerwehr Aufgaben übernommen, müßte entsprechend mehr Personal da sein – auch nachts.
Sinnvoll wäre allerdings - und da sind sich alle einig –, die Hilfsorganisationen verstärkt miteinzubeziehen. Und auch ein Kapazitätsausbau werde bei ihnen notwendig sein, wenn die Feuerwehr wegen der Rotstiftpolitik verdonnert werde, ihren teuren NAW-Fuhrpark zugunsten des „Rendezvous-Systems“ aufzugeben. Im Klartext: Künftig rast der Rettungsmediziner im Notarzteinsatzfahrzeug (NEF), einem PKW, zum Unfallort, wo er auf den normalen RTW trifft. Bislang war es so, daß bei Unfällen mit Leichtverletzten der RTW mit zwei Rettungssanitätern anfährt, bei Schwerverletzten rückt der NAW mit zwei Sanitätern und einem Notarzt aus, der häufig bereits am Unfallort die erste intensivmedizinischen Behandlungen durchführt. Da die NAW an den Krankenhäusern stationiert sind (Eppendorf, St Georg, Altona, Bergedorf, Harburg etc.) und daher meist längere Anfahrtwege haben, rast zuvor bereits ein Rettungswagen zum Unfallort, um dort schon Erste Hilfe zu leisten.
Durch das NEF-Rendezvouz-Sytem hoffen die Rotstift-Verfechter, bei neuen Notarztwagen 100.000 Mark und einen Rettungssanitäter einsparen zu können. Ob ein solcher Schritt jedoch sinnvoll ist, darüber streiten sich die Geister. Ein NAW-Arzt: „Erstens sind die NEFs auch nicht billig, zweitens müßten die RTW medizinisch nachgerüstet werden. Und was sich auf dem platten Land als sinnvoll herausgestellt hat – wenn der RTW aus der einen Kleinstadt und der Notarzt aus dem Kaff kommen und beide dann am Unfallort zusammentreffen, muß für eine Metropolenstadt nocht lange nicht effektiver und köstengünstiger sein.“
Ob der Rotstift bei den sieben NAW und 65 RTW oder dem Großraumrettungswagen angesetzt wird, steht noch in den Sternen. Feuerwehrsprecher Wolfgang Linder: „Das waren Spargedanken unseres Chefs, in welche Richtung es gehen könnte. Sicher mit dem Zusatz: Das wäre die schlechteste Möglicheit. Letztendlich wird es die Politik entscheiden und verantworten müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen