: Auf der Suche nach dem verlorenen Schaum
■ Die Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei im Wedding forscht und lehrt im Dunstkreis des Gerstensafts / Alkoholfreies Bier als technische Herausforderung
„Gushing“ heißt auf deutsch „sich ergießen“ und ist unter Brauern der Fachausdruck für das noch nicht erklärbare Phänomen, daß Bierflaschen beim Öffnen bisweilen überschäumen, ohne daß sie zuvor geschüttelt wurden. „Auf der hellen Polstergarnitur macht sich das nicht so gut“, meint Ulrich Bieker. Daher ist der Diplom- braumeister dem „Gushing“ im Labor der „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin“ (VLB) schon seit fünf Jahren auf der Spur: „So etwas kann einen Braumeister den Kopf kosten.“ Weil das Bier vor allem in sehr feuchten Jahren schäumt, vermuten die Forscher die Schuld bei einem in der Gerste enthaltenen Schimmelpilz.
Die Suche nach den Ursachen des Schaums ist nur eine der vielen Aufgaben der Versuchs- und Lehranstalt, die eine Reihe kleiner und mittelständischer Brauereien im Zuge der fortschreitenden Technisierung des Braugewerbes 1883 an der Weddinger Seestraße gründeten. Die alten Backsteinbauten mit Lichthof und Gewölbegängen atmen noch den Geist der Jahrhundertwende – darunter auch die Mälzerei und das Brauereigebäude. Dort entstand bis 1982 das in der angeschlossenen Gaststätte ausgeschenkte „Hochschulbier“. Die Investitionen, die für eine Wiederinbetriebnahme der wegen ihres schlechten Zustands geschlossenen Produktionsstätte erforderlich wären, könne die Anstalt derzeit nicht aufbringen, sagt Pressesprecher Dietmar Biermann.
Noch heute finanziert sich die VLB überwiegend aus den Mitgliedsbeiträgen der Brauereien. Hinzu kommen Drittmittel für die Forschung und die Einnahmen aus den Dienstleistungen – dazu zählen Analysen, Beratungen und Gutachten. Für die Analysen im täglichen Betrieb haben Großbrauereien wie Schultheiss oder Kindl in Berlin zwar eigene Labors, die aber keine Grundlagenforschung betreiben.
Ein Forschungsschwerpunkt ist auch die technisch sehr aufwendige Herstellung von alkoholfreiem Bier. Bei der einfachsten Methode, den Gärungsprozeß durch die Verwendung einer Spezialhefe bei einem halben Prozent Alkoholgehalt einfach abzubrechen, „schmeckt das Bier auch dementsprechend“, meint Biermann. Bei dem gängigen Vakuumverfahren lassen die Brauer den Alkohol dagegen durch Unterdruck entweichen. Der Alkohol reißt dabei aber Geschmacksstoffe mit, was sich auch durch technische Kniffe nicht völlig verhindern läßt. Daher erproben die Wissenschaftler der VLB nach einjährigen Laborversuchen jetzt ein neues Verfahren im Großtechnikversuch: Sie spülen die Würze an Glaskügelchen vorbei, auf denen sich ortsfeste Hefepilze befinden. Davon versprechen sie sich, mit dem normalen Gärprozeß einen einwandfreien Geschmack erzielen und dennoch die Entstehung des Alkohols steuern zu können.
Neben Forschung und Beratung auf technischem und betriebswirtschaftlichem Gebiet bildet die Anstalt in Kooperation mit der Technischen Universität auch Studenten aus. Nach den Angaben von Wolfgang Kunze, der in Dresden eine der beiden Außenstellen leitet, gibt es 1.826 studierende Brauer in Deutschland. In Berlin, das neben Weihenstephan den einzigen Universitätsstudiengang bietet, streben derzeit 160 Studierende einen Abschluß als „Braumeister“, „Diplombraumeister und Produktionsleiter“ oder „Diplomingenieur (Getränke)“ an. Daneben nehmen jährlich etwa 15 Ausländer an einer speziellen Braumeisterausbildung teil.
Gemeinsam mit der Versuchsanstalt der Hefeindustrie und der Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation und Fermentationstechnologie, die eine eigene Brennerei samt Fabrikverkauf betreibt, gehört die VLB zum 1874 gegründeten Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie. Die mehr als 50 MitarbeiterInnen arbeiten in vier Forschungsinstituten und mehreren Beratungsabteilungen, die Institutsleiter sind zugleich TU-Professoren. Auch eine Verpackungsprüfstelle gehört dazu.
Besucher der Anstalt sollten sich vorsehen: Gleich neben der Einfahrt lassen die Experten Bierkästen von einem T-Träger aus dem dritten Stock aufs Pflaster fallen, um deren Haltbarkeit zu testen. Ralph Bollmann
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