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■ CannescannesWo ist mein Koffer?

Was für ein Festival! Gong Li wird kommen, die Isabelle Adjani des Ostens – sie spielt eine der Hauptrollen in Zhang Yimous neuem Film „Lifetimes“. Und Isabelle Adjani, die Gong Li Frankreichs, wird gleich heute den ersten spektakulären Akzent des Festivals setzen: Sie ist Patrice Chéreaus „La reine Margot“, die erste Frau Heinrichs IV. – die Katholikin, die aus Staatsräson mit einem Protestanten verheiratet wurde und die sich vier Tage nach der Hochzeit weigerte, die Protestanten zu verraten. Da wütete die Bartholomäusnacht, die zur Hochzeit angereiste protestantische Elite wurde niedergemetzelt. Katharina von Medici zog die Fäden bei dieser Intrige. Der Film beruht auf einem Roman von Alexandre Dumas. Ein Historiendrama, eine Räuberpistole. Adjani sei göttlich, versichern französische Journalisten, die den Film schon gesehen haben. Morgen mehr darüber.

Erst noch ein Blick aufs Programm. Es wird, wogegen nichts einzuwenden ist, ein Festival der Stars: Gérard Depardieu spielt neben Roman Polanski in Giuseppe Tornatores „Una pura formalita“. Michel Blanc, der Monsieur Hire aus „Monsieur Hire“, hat zum zweiten Mal in seiner Karriere Regie geführt. Er selbst steht in „Grosse Fatigue“ an der Seite von Carole Bouquet (die von Chanel No. 5). Im neuen Film der Brüder Coen, „The Hudsucker Proxy“, spielen Tim Robbins und Paul Newman die Hauptrollen. Der Film, angeblich eine Komödie im Stile von Preston Sturgess, hat gestern das Festival eröffnet – leider zu spät, um hier darüber zu berichten. In Kieslowskis „Rot“, dem Ende seiner unendlichen Trilogie über die französischen Nationalfarben, gibt es ein Wiedersehen mit Jean-Louis Trintignant. Kathleen Turner betätigt sich in John Waters' „Serial Mom“ als Serienmörderin.

Außerdem im Wettbewerb: ein neuer Film des Iraners Abbas Kiarostami, „Mrs. Parker and the Vicious Circle“ von Alan Rudolph, „Pulp Fiction“ des gewalttätigen Quentin Tarantino, der neue Film des russischen Emigranten Andrei Kontschalowski und der neue Film seines heimatverbundenen Bruders Nikita Michalkow; ein Film aus Indien, einer aus Mexiko, und keiner aus Deutschland und praktisch nichts aus Hollywood. Alle Amerikaner im Wettbewerb kommen aus der Independents- Ecke. Oliver Stones neuen Film, „Natural Born Killers“, hat die Auswahlkommission des Wettbewerbs als untauglich abgelehnt. Dafür ist ein Amerikaner – aber was für ein Independent! – Jurypräsident: Clint Eastwood, dem unter anderen Cathérine Deneuve zur Seite sitzt.

Als einziger deutscher Film ist außerhalb des Wettbewerbs, in der „Quinzaine des realisateurs“, Jan Schüttes „Auf Wiedersehen Amerika“ zu sehen. Dort laufen auch „Tatjana“ von Aki Kaurismäki und „Amateur“ von Hal Hartley (mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle!).

Aber wo ist mein Koffer? Air France hat eigens einen Jumbo- Jet eingesetzt, um die Festivalers von Paris nach Nizza zu bringen. Der Jumbo war voll. Das Kofferfließband quillt über. Ich versuche mich zu erinnern: meiner ist dunkelgrün, oui oui, c'est ça, vert foncé. Etwas abseits, seltsam unberührt von den mäandernden Koffermassen, steht eine hübsche Frau. Sie trägt eine verspiegelte Sonnenbrille. Aha, denke ich, also geht das hier schon los mit dem Stargehabe, aber wo ist mein Koffer?

Auf dem Weg zum Bus sehe ich die Frau wieder. Sie sitzt in einem Renault Espace. Die Brille hat sie abgenommen. Es ist Gong Li. Was für ein Festival! Aus Cannes: Thierry Chervel

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