: Turm-Dörfer ohne Wärme
■ Begrenzte Entschädigung für Kirchdorf-Süd / Eingriffe in das System Hochhaus Von Sannah Koch
Eine grüne Wiese, Enten, auf einem Bächlein, ein kleines Mädchen schaukelt stillvergnügt. Nur – die Wiese ist eingezäunt, der Bach voller Müll, und das Kind spielt im Schatten eines dreizehngeschossigen Hochhauses, verloren und winzig wie eine Ameise. Kirchdorf-Süd an einem Frühlingstag, da wirken sogar die Mittelgebirge aus Plattenbauten himmelblau. Sind sie aber nicht – trostlos grau sind sie aufeinandergetürmte Dörfer ohne menschliche Wärme. Eine Erkenntnis, die den Erbauern mit dreißig Jahren Verspätung gekommen ist. Eine Erkenntnis mit hohen Folgekosten.
Immerhin, zumindest die Wohnungsbaugesellschaft Saga hat nun ein Einsehen, daß in der Siedlung im Süden Hamburgs nur noch “Eingriffe in das System Hochhaus“ den etwa 5800 Bewohnern zu etwas mehr Lebensqualität verhelfen können. Die Bauarbeiten, die aus diesem Grund in dieser Woche im Erlerring 8 und 9 begonnen wurden, sollen deshalb nicht nur der Renovierung der Gebäude dienen. „Wir bessern die soziale Infrastruktur nach“, so will es der Saga-Projektleiter Gottfried Eich verstanden wissen.
In der Tat: Hinter dem Vorhaben, die Eingangsbereiche der beiden Hochhäuser umzugestalten, steckt mehr – Kommunikation, Identifikation, soziale Stabilierung lauten die Zielgrößen. Wird man wohl auch verlangen können, für die 4,23 Millionen Mark (1,9 Mark vom Bund) Baukosten.
Um solch teure Einsichten zu wecken, muß zuvor allerdings einiges passiert sein. „Verschmutzung und Vandalismus“, wie Rainer Andresen von der Wilhelmsburger Saga-Geschäftsstelle es nennt. Vollgepinkelte Hausflure und Treppenhäuser, regelmäßig zerstörte Fahrstühle, Frust und Beschwerden der Mieter – Folgen der Bausünden der 70er Jahre. Auf der grünen Wiese als reine Schlafstadt für Berufstätige war Kirchdorf-Süd gebaut worden. Soziale Infrastruktur? Nicht nötig, haben Hamburgs Stadtplaner damals wohl gedacht.
Daß auch in dieser Siedlung Kinder geboren werden, und daß mit Wirtschaftskrisen auch Erwerbslosigkeit in Kirchdorf einziehen könnte, war offenkundig nicht geplant. Weitere Fehlplanung: Die Siedlung ist wie ein Windkanal konstruiert. Kirchdorf-Süd in notorischer Starkwindgefahr: „Windstärke 5 bis 6 ist in den Hauseingängen keine Seltenheit“, so Architekt Jürgen Padberg, „da werden den Müttern die Kinderwagen aus den Händen gerissen.“ Kein Wunder, daß der Plausch vor der Haustür nicht zustande kommt. Der Treffpunkt des Hausdorfes mit seinen jeweils 250 Einwohnern – es gibt ihn schlicht nicht.
Auch nicht das schnell erreichbare Örtchen für die kleinen Kinder, die während des Spiels mal müssen. Der Aufzug kommt entweder zu spät oder gar nicht, oder die Kurzen kommen nicht an die entscheidenden Knöpfe – da wird das Treppenhaus schnell zum Kinderklo. Und die Kids zwischen sechs und zwölf? Weil Spielmöglichkeiten fehlen, machen sie den Aufzug zum Abenteuerspielplatz – Losung: „Wer kriegt das Ding als erster kaputt.“
Viele Fliegen für eine Klappe: In zahlreichen Sitzungen wurde mit den Bewohnern diskutiert, welche Maßnahmen am dringlichsten sind. Begonnen wird nun mit der Schließung der Durchgänge unter den Häusern – damit wird unter anderem auch der Sturmgott befriedet. Vor allem entstehen aber zusätzliche Flächen für eine kommunikationsfördernde Eingangshalle mit Pförtnerloge, Kiosk und Kinderklo; Arbeitsplatzbeschaffung für Langzeitarbeitslose (Hausmeisterehepaar) inklusive. Eine unterschiedliche Gestaltung der Eingänge soll Gästen zudem eine leichtere Orientierung in dem Betoneinerlei ermöglichen. Und durch die Verlagerung von Kellerräumen wird Platz für soziale Einrichtungen geschaffen. Gedacht ist nicht nur an Spielwohnung, Waschküche und Hobbyräume, sondern auch an Hausaufgabenbetreuung und Beschäftigungsprojekte.
„Eine begrenzte Entschädigung für einen insgesamt wenig lebenswerten Stadtteil“, so die Saga-Projektgruppe, will man leisten. Späte Abbitte, die aber wirklich nur begrenzt ist. „Modellcharakter“ soll die Nachbesserung nämlich haben – im Klartext: Geld fließt nur in den Umbau des Erlerrings 8/9. Bevor die Planer ganz Kirchdorf-Süd ins Visier nehmen dürfen, muß zunächst zwei Jahre lang wissenschaftlich ausgewertet werden. Hoffentlich danken Kirchdorfs Bürger in statistisch relevanter Größenordnung.
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