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■ Energie pur: Die kanadische Frauenband Justine in der KulturBrauerei

Zwischen Songtext und Musik gibt es ein Spannungsverhältnis, das auf verschiedenste Art zu nutzen ist. Das wissen schon kleine Kinder, wenn sie neben ihren gerade geborenen jüngeren Geschwistern stehen und Liedchen erfinden, die den Eltern wie Wiegenlieder vorkommen. Hörten diese zehn Sekunden lang genauer hin, verstünden sie, was sich da abspielt: „Ich reiß' dir alle Haare raus, ich kratze dir die Augen aus, lala, ich beiß' dich in die Beine und werf' dich in den Mülleimer, lala“, wird nicht selten mit Engelszungen gesungen. Die Kinder fühlen etwas und wissen doch schon, daß sie es tarnen müssen.

Die Musikerinnen der kanadischen Band Justine singen Texte, die keinen Zweifel daran lassen, daß etwas mit unserer Welt und mit uns in der Welt nicht stimmt, aber sie kaschieren diese Texte nicht mit trivialem Sound, sondern betonen sie extra. Nicht Ironie ist gefragt, sondern Energie. „Einen einfachen Ausweg wollen wir nicht, auch nicht in der Musik“, sagt die Keyboarderin Dianne Labrosse. Wer die Frauen auf der Bühne sieht, wird mitgerissen vom Tempo, von der Kraft, mit der sie ihre Instrumente bearbeiten. Danielle Roger am Schlagzeug und Marie Trudeau am Baß leisten Schwerstarbeit. Die Töne werden tief aus dem Körper hervorgeholt; die Bassistin stampft den Rhythmus in sich hinein und entläßt ihn, wenn sie die Saiten ihres Instrumentes mit phantastischen Geschwindigkeit von Anschlag zu Anschlag bearbeitet.

Zwischendurch spielt Dianne Labrosse ihr Keyboard handflächenweise, um sich Raum zu schaffen, für die fast minimalistisch anmutenden kleinen Wiederholungen, die nichts von Phil Glass' esoterischem Weltschmerz haben, sondern eine immer wiederkehrende Selbstermutigung sind. Auch wenn es pathetisch klingt: Die langsame Zerstörung der Natur, der Kampf um einen Rest Zivilisation und Liebe wird in diesen musikalischen Schwingungen hörbar. „Wir sind keine Verführerinnen, wenn wir Musik machen, man muß uns nicht mögen, aber man soll verstehen, daß wir Energie freisetzen“, sagt die Keyboarderin. „Manchmal machen wir etwas, weil wir es merkwürdig finden, manchmal schockiert es uns dann selbst.“

Justines Musik ist Rockmusik, aber auch Jazz und immer Improvisation, „weil sich die Musik ständig bewegen muß und ein Stück in zwei Jahren nicht mehr das gleiche sein kann wie heute.“ Möglicherweise ist das das Geheimnis der langen Entwicklung dieser Band, die vor mehr als zehn Jahren als 14köpfige Band „Wondeur Brass“ anfing und sich peu à peu zu einer Viererformation veränderte. Die vierte ist die Saxophonistin Joane Hétu, deren melodischen Saxophonschleifen es nicht selten gelingt, das Ganze etwas zu zähmen. Walltraud Schwab

Heute um 21 Uhr im Kesselhaus der KulturBrauerei, Knaack-/ Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg.

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