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Bob Dylan im Garten des Buddha

Vor dem Todaiji-Tempel in Japans Kaiserstadt Nara trifft sich die Pop-Elite der Welt zum Konzert  ■ Aus Nara Georg Blume

Vom Garten des Todaiji- Tempels in Nara, wo sich die Menge versammelt hat, ist der kleine Sänger kaum mehr zu sehen. Bob Dylan hatte George Martin um wenig Scheinwerferlicht gebeten und verschwindet nun fast im Schatten des Tempels, während er zur buddhistischen Metapher der Erleuchtung aus einem alten Gospel singt: „I see the light come shining from the West down to the East“.

Der alte Rockstar zieht den Kopf in die Schultern, wirkt unscheinbarer denn je, als wollte er nur ja nicht den Blick auf den versperren, der während des Konzertes über ihn wacht. Vaivochana nennt er sich, „Buddha des unendlichen Lichts“, und sein Körper, 15 Meter hoch und 2.500 Tonnen schwer, umfaßt die größte Statue, die Menschen jemals in Bronze gossen.

Vor dem „Daibutsu“, wie die Japaner ihr liebstes Heiligtum nennen, kann es sich sogar Bob Dylan leisten, als der kleine Mann zu erscheinen, der er immer war. Freilich: Die Imposanz des Tempelgebäudes und Vaivochanas ruhender Blick sollen dem Abend jene Aura verleihen, welche die Stars allein nicht mehr aufbringen.

Immerhin zweihundert Musiker treten an den drei einmaligen Konzertabenden im Todaiji-Tempel am Rande der alten japanischen Kaiserstadt Nara auf. Unter der künstlerischen Leitung des früheren Beatles-Produzenten George Martin spielen das vollständige Tokioter Symphonieorchester, zwei Mönchschöre und die Starpalette von Joni Mitchell über Wayne Shorter bis Jon Bon Jovi. Produzent Tony Hollingsworth hat sie alle zusammengetrommelt. Auf seine Initiative gingen bereits die beiden Nelson-Mandela-Konzerte in London zurück.

„Es war diesmal nicht schwer, die Musiker zum Mitmachen zu überreden. Wir machen kein Benefizkonzert“, berichtet Hollingsworth über seine Vorbereitungsarbeiten. „Doch bin ich in den letzten drei Jahren zwanzigmal in diesen Tempel gekommen und habe auf seinen Stufen um die Gnade des Vorstehers gebetet. Heute wissen die Mönche über das Konzert besser Bescheid als ich selbst.“

Während der englische Erfolgsproduzent noch hingebungsvoll die Säulen des im 8. Jahrhundert errichteten Tempels streichelt, denkt er bereits an ganz andere Teile der Welt. „Great Music Experience“ hat er die siebenteilige Konzertreihe getauft, mit der er im nächsten Jahr vor den alten Kaiserpalast nach China ziehen und später vor den ägyptischen Pyramiden und dem indischen Taj-Mahal-Palast gastieren will. Bis ins Jahr 2000 sollen an sieben der bekanntesten Kulturstätten der Welt fernsehwirksame Popkonzerte per Satellit rund um den Erdball ausgestrahlt werden.

In Nara verspricht das Abendprogramm eine „neue Generation von Musikereignissen, die uns ins 21. Jahrhundert tragen“. Gegen solch großspurige Rhetorik, deren Vokabular in Japan einem neumodischen Sektendiskurs entnommen sein könnte, hatten die buddhistischen Mönche des Todaiji-Tempels anfangs gehörige Aversionen. „Wie waren uns über die Essenz der Veranstaltung lange Zeit im unklaren“, gesteht ein Tempeldiener im orangefarbenen Feiertagsgewand, während sein Blick von den eigenen, kargen Dienstgemäuern über den mit jugendlichen Rockfans bevölkerten Garten zum Tempelgebäude streift. Plötzlich erstrahlt der Todaiji im hellen Zinnoberrot, ein Trommelwirbel ertönt, und der Mönch wendet sich erschrocken ab. Ob sie dem alten Buddha nicht doch zuviel zugemutet haben?

„Nein“, antwortet das Tempeloberhaupt Jokai Hiraoka, „denn was in unseren Augen auseinanderfällt, gehört in Wirklichkeit zusammen.“ Beim Konzert harmonieren in Hiraokas Ohren auch noch die härtesten Rockmusiker mit dem lethargischen Sutrengesang der Mönche.

Dieses eigenwillige Empfinden erklärt sich freilich aus den Grundsätzen der buddhistischen Kegon-Schule, der Hiraoka vorsteht. „Als Ergebnis gegenseitiger Durchdringung und Identifikation erkennen wir in dem Einen die Vielfalt und in der Vielfalt das Eine“, lautet ein Leitsatz der Kegon-Schule, die deshalb unter Buddhologen für ihre Toleranz gegenüber den weltlichen Phänomenen berühmt wurde.

Tony Hollingsworth erkannte wohl als erster, welche Chancen sich aus dieser Philosophie für die Organisation eines modernen Medienspektakels ergaben. „Ich wußte, daß es nach der einmal erhaltenen Zustimmung von seiten des Tempels keine Probleme mehr geben würde“, bekennt der Produzent. Tatsächlich konnte Hollingsworth fortan machen, was er wollte. Buddhistische Toleranz und die Beliebigkeit des Medienbetriebs ergänzten sich.

Am Konzertabend ist das Staraufgebot dementsprechend breitenwirksam ausgewählt. Bob Dylan und Joni Mitchell – sie singen in Japan bereits für die Anspruchsvollen. Die für das große Publikum hierzulande erforderlichen Magneten haben freilich ganz andere Namen: Yoshiki, die Band „X Japan“, Hotei und Koji Tamaki – die beliebtesten Musiker der japanischen Teenager-Szene dürfen an den drei Abenden vor das Fernsehpublikum in aller Welt und den Großen Buddha treten.

Insofern gleicht der Andrang dem jeden üblichen Rockkonzertes in Japan. Für Yoshiki, dem derzeit vielleicht umschwärmtesten japanischen Rockmusiker, lagern schon am Vorabend des Konzertes ein paar Dutzend jugendliche Fans vor den Toren des Tempels. Bei weitem in der Überzahl sind Schülerinnen und Studentinnen, die sich in den prächtigsten Farben gekleidet haben, ihre langen schwarzen Haare zwischen rot und blond gefärbt. Auf säuberlich ausgebreiteten Plastikmatten verbringen sie die Nacht und den Tag bis zum nächsten Abend. Doch wie enttäuscht sind Kaori und Masako, zwei achtzehnjährige Oberschülerinnen, als sie vernehmen, daß Yoshiki nur zwei Lieder spielen wird.

Dennoch ist der Auftritt Yoshikis vielleicht die einzige Sensation des Konzerts, welche dem internationalen Fernsehpublikum gewiß entgeht. Denn der hübsche Hardrocker mit seiner Löwenmähne bleibt in Japan ein Anti-Star zum Establishment. George Martin schimpfte über Yoshiki, weil er sich allen Proben mit den angereisten Weltstars hartnäckig entzog. Doch erst sein Erscheinen gibt die Bühne des Todaiji für diejenigen frei, die mit der traditionellen Kultur in Japan ohnehin nichts anzufangen wissen.

Dabei erweist sich die Jugend des Landes auf ganz andere Art der historischen Stätte würdig: Drei Tage lang verhalten sich die japanischen Rockfans nämlich so, daß sie den Tempelhütern nicht den geringsten Anlaß zur Sorge geben. An den Konzerteingängen erledigen jeweils zwei Frauen die Kartenkontrolle und den Ordnungsdienst. Um Fluchtwege für den Brandfall freizuhalten, reicht es aus, eine Gasse mit Klebeband auf dem freien Rasen zu markieren. Einen kleinen See inmitten des Tempelgartens hat man gegenüber der Menge nicht einmal mit einem behelfsmäßigen Zaun abgegrenzt. Doch niemand fällt ins Wasser. Als die Menge nach dem Konzert den Garten räumt, bleibt nicht eine einzige Getränkedose zurück. „Hier auf der Karte steht ja ganz klar, daß man den Müll mit nach Hause nehmen soll“, erklärt die Schülerin Kaori solches Verhalten.

Offenbar ist die Zeit vorbei, in der sich ein großes Staraufgebot nur vor einem entsprechend großen Konzertpublikum zusammenführen ließ. Der Tempelgarten ist an keinem Abend ausverkauft. Durchschnittlich kommen etwa achttausend Zuschauer zu den drei Vorstellungen. Das liegt schon daran, daß die Organisatoren auf große Werbeanstrengungen beim Kartenverkauf verzichtet haben. Für die Kostendeckung der Veranstaltung liefern die Eintrittsgelder eben nur einen kleinen Teil. Die Haupteinnahmen bringen die über die Fernsehausstrahlung abgesicherten Werbeverträge.

Um so fraglicher dürfte freilich sein, ob sich die von der Unesco unterstützte Konzertserie in den nächsten Jahren so wie geplant fortsetzen läßt. Auf der Bühne bleiben die Darbietungen oft weit hinter dem ursprünglichen Anspruch des Konzerts, die traditionelle Musik des Fernen Ostens mit den Rhythmen westlicher Rockmusik zu verschmelzen, zurück. Zwar gelingt es der australischen Hardrockband INXS, für wenige Minuten gemeinsam mit einer japanischen Folklore-Gruppe aufzuspielen. Doch selbst Joni Mitchell räumt ein: „Wir haben versucht, unsere Musik zusammenzubringen, aber es hat an vielen Stellen nicht geklappt.“

Auch George Martin, dessen Name allein dem Versuch einer musikalischen Zusammenführung von Ost und West in so kurzer Zeit Seriosität verlieh, zeigt sich vom Ergebnis des zehntägigen Probemarathons nur teilweise befriedigt: „Wir haben hier keinerlei musikalischen Durchbruch erreicht und sind auch nicht zu einer irgendwie neuangelegten Musik vorgedrungen“, resümiert Martin. „Wir zeigen schließlich nur, daß es möglich ist, die unterschiedlichsten Musikarten gemeinsam aufzuführen.“

Dennoch gibt es in dem dreistündigen Showwerk einige kurze interkulturelle Höhepunkte, welche Martins Arbeit belohnen: Der Percussionist Ray Cooper spielt erstmals gemeinsam mit dem japanischen Kodo-Trommler Leonard Eto, Gitarrist Ry Cooder und der japanische Folkore-Star Shokichi Kina aus Okinawa entdecken ihre alte musikalische Freundschaft von neuem, und die irische Folk- Band „The Chieftains“ findet schließlich doch noch einen Weg, den jahrtausendealten Instrumenten des Chinesen Ryu Hongjun neue Geltung zu verleihen.

Für die Mönche bleibt abschließend die ambivalente Erkenntnis, die der Zen-Priester im benachbarten Tenryuji-Tempel in Kioto formuliert: „Wir Buddhisten sollten uns vor den Mitteln der Massenkommunikation nicht scheuen. Die neuen Religionen bedienen sich ihrer längst.“

Bis zum nächsten Großkonzert im Todaiji-Tempel könnten trotzdem noch 1.300 Jahre vergehen. Vor so langer Zeit hatten die buddhistischen Vorfahren einst die heilige Stätte mit einer damals unbekannten Musik aus dem fernen China eingeweiht. Im übrigen sollen dabei die Besucherzahlen weit größer gewesen sein als in den vergangenen Tagen. Nicht einmal Yoshiki und seine Fans, geschweige denn Bob Bylan, dürften also den Großen Buddha wirklich überrascht haben.

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