: Der Präsidenten-Automatismus funktionierte
■ Im Berliner Reichstag bestätigte sich gestern, wie parteidiszipliniert Wahlmänner und -frauen wählen können: Sie kürten Roman Herzog zum neuen Bundespräsidenten
Berlin (taz) – Am Ende lief alles ganz glatt: Die als „spannendste Präsidentenkür seit 25 Jahren“ avisierte Wahl geriet zwar zum Marathon – doch ohne Überraschung. „Herr Roman Herzog ist somit zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt“, verkündete Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth gestern abend um 18 Uhr 20 im Berliner Reichstag das Ergebnis, das im Grunde bereits nach dem ersten Wahlgang feststand. 696 Stimmen für Herzog, 605 für Johannes Rau. Fast alle der 111 FDP-Wahlmänner und -frauen kann der Neue nach dem Rückzug der Liberalen- Kandidatin Hildegard Hamm- Brücher für sich gewinnen. Viel Energie, so ist zu hören, mußte Parteichef Kinkel nicht aufbringen, um seine Partei auf den Unions-Mann einzuschwören. Das überraschte nicht, auch wenn Herzog in der ersten Runde noch fünfzehn Stimmen aus der Unions- Fraktion gefehlt hatten. Erleichtert konnte der Kanzler alle Restzweifel wegapplaudieren. Die beträchtliche Zahl von Unions-Abweichlern, die die SPD seit Wochen ausgemacht haben wollte, hatte sich schnell verflüchtigt. Wie auch immer es Kohl gelungen ist, den Laden neuerlich zusammenzuhalten, auf die Widerstandskraft enttäuschter Ost-CDUler war in Berlin nicht zu bauen.
Was macht die SPD, hätte man fragen können, nachdem klar war, daß sich die Mobilisierungsfähigkeit ihres Matadors doch in Grenzen gehalten hatte. Genau drei Stimmen lag Johannes Rau nach dem ersten Wahlgang über der Fraktionsstärke der SPD – trotz teurer Anzeigenkampagne und Appell an die Wahlmänner, dem populärsten Kandidaten ihre Stimme zu geben. Doch die SPD hatte keine andere Strategie außer ihrer schier grenzenlosen Fähigkeit zur Selbstsuggestion und der Hoffnung, daß sich am Ende doch noch das Gute durchsetzen werde.
Daß sich der zweite Wahlgang in diesem Sinne interpretieren ließe? Wohl kaum. Zwar gelang es Rau, den Großteil der Grünen- Stimmen auf sich zu ziehen, nachdem Jens Reich nach dem ersten Wahlgang seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Doch auch Herzog verbesserte sich um die 15 abtrünnigen Ost-CDUler.
Derweil vertraten die FDP-Abweichler, die zuvor erklärt hatten, sie würden Rau unterstützen, in der Fraktion ihre aussichtslose Sache. 69 zu 40 geht die interne Abstimmung der Liberalen aus: für Herzog, für die Koalitionstreue. In aller Schlichtheit begründet Parteichef Kinkel den neuen Dreiklang der Liberalen: „Berechenbarkeit, Geradlinigkeit, Zuverlässigkeit.“ Es gelte ein politisches Signal zu setzen, daß die FDP „die Linie weiterverfolgen“ wolle, die sie mit der Koalition eingeschlagen habe.
Den Gang bis zum bitteren Ende hat sich Jens Reich, der von Bündnis 90/Die Grünen unterstützte unabhängige Kandidat, erspart. Er holte im ersten Wahlgang 19 Stimmen und hatte gehofft, „daß es noch ein bißchen mehr hätte werden können“. Letztlich, so Reich, habe sich doch gezeigt, daß im Reichstag „alles disziplinmäßig einwandfrei abgelaufen“ sei. „Es war nicht möglich, den Automatismus aufzubrechen.“ Dennoch habe es in den letzten Monaten auch Anzeichen gegeben, daß es auf Dauer schwerfallen werde, die Präsidentenwahl als westdeutsche Parteienveranstaltung durchzuhalten. Eis
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