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■ Sie zerfressen Muskel- und Fettgewebe:Drei Tote durch neuen Virus

Dublin (taz) – „Bis wir die Ursache für das Verhalten dieser Bakterien gefunden haben“, sagte der Mikrobiologe Satya Das vom Londoner St.-Bartholomäus-Krankenhaus am Montag, „werden mehr und mehr Menschen an dieser Infektion sterben.“ Die Bakterien, um die es hier geht, haben bisher vier Todesopfer gefordert, fünf Menschen konnten in allerletzter Minute noch gerettet werden. Das Krankheitsbild war jedoch bei allen gleich: Die Bakterien zerfressen in Windeseile Muskel- und Fettgewebe.

Die Infektion verbreitet sich mit einer Geschwindigkeit von rund zehn Zentimetern in der Stunde, so daß der Tod innerhalb eines Tages eintritt, wenn nichts unternommen wird. Durch schnelles Eingreifen ist eine Rettung jedoch möglich, wenn das angegriffene Gewebe rigoros entfernt wird und starke Antibiotika verabreicht werden. Bei fünf Patienten hat das funktioniert. Von den Bakterien ist bisher lediglich bekannt, daß sie zu den hämolytischen Streptokokken der Gruppe A gehören. Sie kommen bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung in der Kehle vor. Normalerweise verursachen sie jedoch höchstens harmlose Halsinfektionen. Es ist daher anzunehmen, daß auch ein Virus im Spiel ist, der sich entweder an die Bakterien „anklinkt“ oder auf eine andere Art eine Mutation auslöst.

Abgesehen davon, daß bei allen Patienten diese bestimmten Bakterien gefunden worden sind, gibt es offenbar keine Gemeinsamkeiten. Bisher hatte man angenommen, daß sämtliche Fälle in einem Radius von 40 Kilometern in der englischen Grafschaft Gloucestershire aufgetreten sind, doch gestern ist bekanntgeworden, daß Infektionen dieser Art auch in Schottland und in London vorgekommen sind. Ende Januar starb der 39jährige Terry Bowden, nachdem er mit starken Schmerzen in den Beinen ins Lewisham-Krankenhaus in Süd-London eingeliefert worden war. Seine Beine schwollen rapide an, und die Ärzte konnten ihn auch durch eine Notoperation nicht mehr retten. Er sei nie krank gewesen, sagte seine Frau Christine: „Noch 48 Stunden vor seinem Tod war er kerngesund.“ Bei Roseann Millar aus dem schottischen Sterlingshire trat die Infektion auf, nachdem ihr im Krankenhaus die Gebärmutter entfernt worden war. Sie überlebte dank eines sofortigen Eingriffs, doch mußte sie zehn Tage lang mit offener Bauchdecke auf der Intensivstation verbringen, weil der Chirurg sichergehen wollte, daß die Infektion auch wirklich gestoppt war. Die anderen sieben Fälle sind aus Gloucestershire gemeldet worden. „Sie sind jedoch alle räumlich und zeitlich getrennt“, sagte die Medizinerin Sally Nelson. Das Gesundheitsamt von Gloucester glaubt deshalb auch an Zufälle, und nicht an eine Epidemie. Zwischen den ersten beiden Krankheitsfällen gibt es jedoch eine deutliche Verbindung: Les Christie und Helen Sackett leben in dem Dorf Chalford Hill bei Stroud, beide hatten sich fast gleichzeitig im selben Krankenhaus Routineoperationen unterzogen, und beide haben die Streptokokken-Infektion überlebt.

Christie glaubt, daß Umweltverschmutzung und übermäßiger Einsatz von Chemikalien und Pharmazeutika für die Mutation verantwortlich sein könnten, weil Bakterien vielleicht gegen bestimmte Medikamente immunisiert worden sind. Er hält es aber auch für möglich, daß er sich bei der Routineoperation im Krankenhaus infiziert hat, und will deshalb eine formale Beschwerde einlegen. Ein Untersuchungsbericht über den damaligen Zustand des Krankenhauses soll noch in dieser Woche veröffentlicht werden. Neue Erkenntnisse über den unbekannten Virus sind davon aber kaum zu erwarten. Ralf Sotscheck

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