: Budo: Zwischen Buddhismus und Brutalitäten
■ Fernost fängt im Sportverein an / Kampfsportarten haben Hochkonjunktur
Die Budo-Welle schwappt über das Land der Teutonen. Sie wissen nicht, was Budo ist? Aikido, Jiu-Jiutsu oder Hapkido? Noch nie gehört? Keinen blassen Schimmer von Shinobi-Jo-Jutsu, Kendo und Thai-Boxen? Spätestens bei Karate und Judo oder Taekwon-Do geht ihnen dann doch ein Licht auf und Sie denken: „Ach so, diese fernöstlichen Kampfsportarten.“
Unbekannt dürfte Ihnen dann auch der afrobrasilianische Kampftanz Capoeira sein. Ebenso, daß Kick-Boxen im Gegensatz zu Thai-Boxen aus Amerika stammt und sich ganz erheblich vom rüden Umgehaue und –getrete ohne feste Regeln unterscheidet? Oder wußten Sie, daß Pa Zar Bal eine im Ursprungsland Persien verbotene Kampfkunst ist, die in Deutschland in neuem Gewand erscheint? Fernost ist überall, gleich in Ihrem Sportverein um die Ecke. Für die Budo-Jünger gelten die unterschiedlichsten Motive, wie ein Blick hinter die Kulissen zeigt.
Brutalosportkurs aus Unkenntnis
Ein Experte in Sachen fernöstlicher Weisheiten und Bewegungslehren ist Horst Tiwald, Professor für Sportwissenschaft an der Hamburger Universität und Autor vieler Aufsätze und Bücher in Sachen Budo. Einer, der die rasante Entwicklung mit der zivilen Wehrhaftigkeit mit gemischten Gefühlen beobachtet: „Die Zuwachsrate an Kursen für ernstfallbezogene Kampfsportarten ist erschreckend“, meint der Sportprofessor.
Hat der Mann Ressentiments gegen sein eigenes Lager? Im Gegenteil, vielmehr würden „viele ostasiatischen Kampfkünste und Sportarten von ihrem geistigen Überbau und Hintergrund losgelöst. Sie verlieren damit ihren tieferen Sinn aus der Verbindung von Körper und Geist“, meint der Budo-Experte. Tatsächlich dienen besonders die harten Vollkontaktvarianten verschiedenster Kampfsportarten einigen lediglich zur Wehrertüchtigung vor Kneipen-Prügeleien. Wer ideologische und persönliche Meinungsverschiedenheiten gern mit Händen und Füßen austrägt, entscheidet sich heute oft für den Gang zur Kampfsportschule.
Kung-Fu, Thai-Boxen und andere, teils recht brutale, weil auf Vollkontakt ausgerichtete Disziplinen haben sich im wachsenden Geschäft mit der Brutalität breitgemacht. „Nicht alles, was bei uns als Kampfsport angeboten wird und exotisch ist, hat auch mit dem Hintergrund zu tun, wie er zum Beispiel im Zen-Buddhismus oder in der Lehre vom Tao zu finden ist“, beklagt sich Horst Tiwald. So gebe es viele ostasiatische Kampfsportgurus, die sich erst über ihre Tätigkeit als Nahkampfausbilder in den USA – etwa im Ranger-Training – einen Namen auch auf dem Sportsektor gemacht hätten.
Glücklicherweise sind die schwarzen Schafe noch deutlich in der Minderheit. Vor allem die Macher der Sportvereine müssen aber aufpassen, daß sich bei ihnen aus Unkenntnis nicht ein Brutalosportkurs für die niederen Instinkte ins Nest setzt. Deshalb sollte jeder, der sich für eine der härteren Kampfdisziplinen interessiert, sein Probetraining mit offenen Augen und Ohren absolvieren, bevor er sich für eine längere Zugehörigkeit entscheidet. Für Vereinsvorstände gibt es nur einen Tip: Genau hinhören, was der potentielle Kursleiter aus Fernost über seine Disziplin zu berichten hat.
Aber nicht nur Angehörige von Schlägertrupps oder extremen, politisch motivierten Gruppen landen beim Kampfsport. Der ursprüngliche Hintergrund der oft jahrhundertealten Kampfkünste, die Selbstverteidigung von wandernden und meist unbewaffneten Mönchen als Schutz vor Wegelagerern, zieht auch die potentiellen Opfer in die Selbstschutzgruppen. Vor allem Ausländer wollen sich einen Angriff auf der Straße nicht mehr widerstandslos gefallen lassen. Wobei hier oft die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen.
Eine andere Entwicklung zeigt schon seit Jahren steigende Tendenz: Besonders Frauen verlangt es nach dem Wissen um den möglichst effektiven und direkten Schlag unter die Gürtellinie allzu aufdringlicher Zeitgenossen und möglicher Vergewaltiger. Viele Turn- und Sportvereine haben reagiert und bieten Crash-Kurse mit psychologischer Beratung zum Thema „Selbstverteidigung für Frauen“ an. Anne Heitmann, Pressesprecherin beim Hamburger Sportbund: „In vielen Sportvereinen zählt ein Selbstverteidigungsangebot für Frauen zu den Standards im Programm.“
Oft sind die dabei trainierten Übungen Techniken aus dem Ju-Jutsu, einer Selbstverteidigungsart, die Elemente aus den Budo-Disziplinen Karate, Judo und Aikido zusammenfaßt. Reinhard Schmidt, Trainer beim Altonaer Turnverein, bringt das anvisierte Ziel der Kurse auf den Punkt: „Es geht vor allem darum, die Barrieren im Kopf abzubauen, die es einer Frau verbieten, auf einen brutalen Angriff ebenso brutal zu reagieren. Fairneßregeln gibt es dabei nicht. Das wichtigste ist, daß die Frauen lernen zuzutreten, gnadenlos und ohne Rücksicht. Wer das nach vier Doppelstunden nicht kapiert hat, der lernt es auch nicht mehr.“ Scham, so die kurze Formel, verhindert Stärke.
Meditativer Aspekt im Mittelpunkt
Andrea Hofmeister, Frauenreferentin des Hamburgischen Ju-Jutsu-Verbandes und in der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft als Trainerin aktiv, steht dem Weg des schnellen Erfolges, der in den Crash-Kursen vermittelt wird, kritisch gegenüber. Aber jene, die derartige Kurse hinter sich gebracht haben, berichten durchweg positiv: Sie fühlten sich nun vorbereitet, fühlten sich irgendwie stärker, selbstbewußter und mutiger, hört man sie sagen. Für die Mehrzahl der Fernost-Jünger zählt aber etwas völlig anderes. Für sie steht der gesundheitliche und meditative Aspekt im Mittelpunkt.
Ganzheitliches Training, harmonische Körperbeherrschung, Bewußtseinsbildung und die Kopplung von physischer mit psychischer Ebene, das Training von Körper und Geist, sind die am meisten genannten Motive für die Teilnahme an der fremdartigen Bewegungsschulung. Das Interesse an fernöstlicher Lebensart und Philosophie ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Das macht sich eben nicht nur in den gut.funktionierenden Chinaküchen und Restaurants mit indonesischen Köstlichkeiten bemerkbar, sondern neben expandierenden Futon-Betten-Studios auch in der Sport- und Vereinslandschaft.
Marcus Reddemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen