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Persiflierte Agonie der Unbefriedigten

„The Passions...“ – Musik-Installation von Shelley Hirsch und Barbara Bloom im Hebbel-Theater  ■ Von Waltraud Schwab

Sie singt alles: den blauen Pelz, den roten Mohn, die Größe der Klitoris, das Licht der Mondfinsternis, die Leidenschaft einer Stettinerin, die später einen Zaren heiratet, und einer Französin, deren Libido abhandengekommen ist, dies wohlgemerkt in englisch mit perfekt nachgemachtem deutschen und französischen Akzent. Sie singt selbstgeschriebene Arien und nie gesprochene Reden, sie singt das Gespräch mit den Musikern, sie singt sich das Sofa, das ihr den Weg versperrt, aus dem Weg.

Sie ist eine, die nie heiser wird und nach einer Stunde Probe auf der Bühne des Hebbel-Theaters in Berlin, in der sie ununterbrochen gesungen, geredet, geschrieben hat, nicht ausflippt, wenn nachts um Mitternacht kein Wasser aufzutreiben ist. Und wenn sie doch einmal heiser würde, wäre auch das gesungen. Sie heißt Shelley Hirsch, und einige kennen sie bereits von früheren Auftritten in Berlin. Shelley Hirsch singt alles, und das ist das Geheimnis ihrer Leidenschaft. Denn obwohl sie einen Stimmumfang von nahezu vier Oktaven hat und den meisten Arien gewachsen wäre, ist sie in Wirklichkeit eine Parodistin. Alles, was gehört wird, kann auch gesungen werden.

Die Parodie schafft Distanz, Shelley Hirsch benutzt sie im klassischen Sinn Brechtscher Verfremdung, allerdings mit einer einzigen Ausnahme: Der didaktische Zeigefinger fehlt. Im Stück „Die Leidenschaften von Natasha, Nokiko, Nicole, Nanette und Norma“, das sie auf ihrer Durchfahrt durch Berlin mitgebracht hat, geht es um die Passionen von fünf Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten und Kontinenten. Leidenschaften: das, was man fanatisch liebt, das, was Leiden schaffte, wäre es ernst, Steckenpferde oder – vulgärer – stechende Pferde. Wenn Shelley Hirsch als Nanette – angelehnt an Marie Bonapartes Bemühungen, ihre Frigidität mit chirurgischen Eingriffen zu heilen – „let's talk about sex“ singt, dabei den Impetus der Operettenarie vage mit dem Reim- und Sprechrhythmus des Rap verbindet, steht das musikalische Ereignis im Vordergrund. Die Agonie der unbefriedigten Frau dagegen wird zur Persiflage.

Die Einfrauoper, in der die in Brooklyn aufgewachsene Sängerin alle fünf Rollen singt, ist eine Collage aus Lebensfetzen der teils auf Biographien basierenden, teils abstrakten Frauenbilder. Sie wechselt von einer der Frauen zur anderen. Die Bühne dreht sich mit. Musikalischer Höhepunkt ist die Passion der Nicole; dahinter steckt die Geschichte der Heiligen Theresa von Avila. Die Sängerin meditiert dabei in unartikulierter, aber ekstatischer Form auf ihre eigene Stimme, die vom Band kommt. Es entsteht ein Duett ohne Grenzen, in dem ihr Gesang zweifach zum Ausdruck kommt und in dem der dabei hervorgerufene Wahnsinn für Sekunden ernst ist. Wie beim Zapping vor dem Fernseher wird jedoch gleich danach zum Lebensfetzen der nächsten Frau umgeschaltet.

Eigentlich war das Stück als eine Zusammenarbeit zwischen Shelley Hirsch und der Künstlerin Barbara Bloom angekündigt. Beide Frauen sind im weitesten Sinne Sammlerinnen. Die eine sucht sich alles, was hörbar ist, die andere sammelt visuelles Material. Beide setzen, was sie finden, zu neuen Kompositionen zusammen. Trotzdem ist die Komposition der Künstlerin – fünf Betten, die an das Umfeld der dargestellten Frauen erinnern – angesichts der Stimmgewalt Shelley Hirschs geradezu banal. Mit ihrer Stimme ersetzt sie jedoch nicht nur das Bühnenbild, sie ersetzt sich auch als Schauspielerin. Shelley Hirsch ist immer sie selbst, egal welche Rolle sie gerade singt. Und auch das Libretto hat sie geschrieben – im Grunde ist die Oper ein Abbild des Gesamtkunstwerks Shelley Hirsch.

„The Passions of Natasha, Nokiko, Nicole, Nanette and Norma“ von Shelley Hirsch & Barbara Bloom, bis 29.5., 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.

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