: Neue Platten
ABSCHIED AUS BERNE
Compilation
Schleuder/Wachsender Prozeß / Unterm Durchschnitt
Der Sampler läßt einige Hamburger Geräuschbands und experimentelle Elektroniker hören, die Compilateur Thomas Beck nicht nach Qualität, sondern eher nach Klangfarbe aussortiert zu haben scheint: Wegen der überwiegend ruhigen Stücke, die von den Frequenzen her die mittlere Tonlage favorisieren, ist man fast geneigt, von einem Ambient-Sampler zu sprechen.
Herausragend sind leider nur zwei der zehn Stücke, die von schon bekannten und renommierten Leuten stammen. Tietchens läßt Geräuschkaskaden erklingen, die mal filigran zirpeln, mal mitreißend wirbeln und die akustische Fahrt im „ICE Detlev Fichtner“ zum Vergnügen machen.
Auch Klangkrieg sind mit zwei relativ netten Stücken zu hören, die allerdings hinter ihren bisherigen Veröffentlichungen zurückstehen. Von Gunther Reznicek ist man ebenfalls Besseres gewohnt als Ambient-Industrial. Genickschuss bietet Weiches im Atonal-Gewand, das nett wirkt, obwohl einfach strukturiert.
Das Duo Umschöpfung hat wahrscheinlich David Myer als Vorbild, sie versuchen, mit dem Eigengeräusch-Input eines Effektgerätes durch eine maximale Enge der Bandschleifen das karge Gruseln hinzukriegen, das Coils „Red Weather“ durchweht.
Besonders betulich wirken dagegen die ersten Gehversuche von TBC, das lose Kling-Klang erinnert stark an esoterische Gebrauchsmusik. Hammafest präsentieren wieder gewollt Aktionskünstlerisches, während Robert Klammer Geklöppeltes und Gegluckertes klammert. Delta Sleep Inducing Peptide bieten dagegen einen Soundtrack zu einem imaginären Film der 50er: „Die Außerirdischen kommen.“
Greta Eck
OKKO BEKKER
Hybrid Farts
Selected Sound
Das, was damals Industrial-Musiker ironischerweise von sich selbst behaupteten, nämlich mit brachialen Alltags-Geräuschen Gebrauchsmusik zu produzieren, das macht Okko Becker tatsächlich und hochprofessionell.
Seine erste CD bietet zur industriellen Weiterverwertung kleine, perfekt produzierte Sound-Matten an, die die Sound-Bank Selected Sound archiviert. Stil hat es nicht, aber es repräsentiert Musik in seiner wirtschaftlichsten Form. Billigster Disko-Pump lagert neben Privat-Radio-Frühstücks-Gedudel und sanfter Pseudo-Klassik. Doch alles ist wohl arrangiert und durchdacht. So könnte sich das vertonte Analog der gesamten Musikindustrie anhören. Man kann getrost wetten, daß Teile dieser CD demnächst im deutschen Fernsehen zu hören sein werden.Annette Bolz
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