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Das Coming-out der Zwerge

Urlaub, maßgeschneidert fürs Kleinkind, bietet „Europas erstes Babydorf“, das österreichische Trebesing. Streichelzoo, Zwergennest und Windelwandermeile als „Problemlösung für die Familie mit Kind“  ■ Von Edith Kresta

Max, Max, Max“, kreischt es in der Hotelhalle. Schon wieder hat sich der einjährige Wicht aus dem Dunstkreis seiner Erzeuger gewagt. Prompt schleudert's ihn aus der Kurve. Tränen. Das Ziel seines Ausflugs hat er knapp verfehlt: den sternchenbemalten, echten Minicooper im Zentrum der Hotelhalle, Treffpunkt aller krabbelnden, rennenden oder sonstwie mobilen Kids. Schon ist Papa da und nimmt Max, lautstark tröstend, in die Arme. Dabei übersieht er den unter ihm krabbelnden Florian. Unsanft zur Seite getreten, heult nun dieser auf. Jetzt ist der Papa von Florian im Rennen. Blitzschnell greift auch er seinen Sohn. So sind sie halt, die süßen Kleinen! – solidarisch schauen sich die geforderten Väter in die Augen. Hier fallen sie nicht weiter auf. Greinender Nachwuchs und demonstrative Brutpflege sind im Babyhotel in Trebesing salonfähig, denn es regiert das Baby, das Kleinkind. Unbedingt und überall.

„Erstes Babydorf Europas“ nennt sich das österreichische Trebesing. Wahrzeichen von Trebesing: ein überdimensionaler vier Meter hoher Schnuller gleich am Ortseingang. Quietschrosa und hellblau knallt dieser aus den sattgrünen Wiesen der Kärntner Bergidylle. Seine Botschaft: Hier wurde eine alte Kulturlandschaft touristisch modernisiert.

Max und Florian wohnen beste Kategorie: im Trebesinger Hof. Ausgezeichnet mit sechs Schnullern. Vergeben von der lokalen Schnullerkommission. Ein Topangebot mit Viersternehotel, eigenem Animations- und Abendprogramm. Totale Bedürfnisbefriedigung auch für die Allerkleinsten: Wickelkommode und Kinderbett, Töpfchen und Schemel im Badezimmer, elektronische Überwachung und Kinderbetreuung, Kindermenü und Tiere zum anfassen. Das Wasser im Hallenbad ist babywarm, und die Treppen und Türen sind babysicher, die Atmosphäre babyfreundlich. Urlaub babyleicht gemacht. Bei den nach Süden gelegenen Zimmern schläfert die rauschende Lieser das Kind im sicheren Gitterbettchen ein, bei den Zimmern nach Norden das nicht ganz so regelmäßige Rauschen der Autobahn. Hinter Grün und schalldämpfenden Mauern versteckt, schlängelt sie sich gleich hinterm Hotel mitten durchs Dorf.

Es lallt, kreischt, weint und brabbelt. Kindliche Lautmalerei füllt das große Restaurant des Hotels. Die KellnerInnen balancieren das leckere Fünf-Gang-Menü von Tisch zu Tisch. Kinderfest trotzen sie der zwischen den Beinen wuselnden Schar. Nur ihre immer freundlichen Worte klingen manchmal etwas gepreßt.

Fremde Tischnachbarn - in der Regel gestandene Elternpaare, Singles sind eher die Ausnahme - kommen leicht ins Gespräch. Die Themen drehen sich hauptsächlich um das eine, das Kind. Über Vor- und Nachgeburt, Stillgewohnheiten, Wickeltechnik und Entwicklungsfortschritte der Sprößlinge wird auch abends an der Hotelbar Stoppel diskutiert. Abendfüllende Unterhaltung, auch wenn sie ab und zu durch das aufgeregte Piep- Piep der elektronischen Schallüberwachung ungnädig abgebrochen wird. Selbst die ausdauerndsten Barbesucher werden dann auf ihre wahre Bestimmung zurückgestupst: die bedin

gungslose Hin-

gabe ans Kind. Und

weg sind sie! Der Besitzer des Trebesinger Hofs, Siegfried Neuschietzer, ist rühriger Initiator der Babydorf- Idee. Seit zehn Jahren hat er sein Hotel Töpfchen für Töpfchen aufs Kind umgestellt. Das jetzt ausgereifte Babyhotel ist in der Saison von Mai bis Oktober „so gut wie ausgebucht“. Trotz der nicht gerade günstigen Preise – Halbpension pro Person ca. 180 Mark, Kinder unter drei Jahre frei, über drei gestaffelte Preise bis zwölf Jahre. „Wir sind schon das zweite Mal hier“, erzählt das Paar aus Frankfurt, „und bestimmt nicht das letzte Mal.“ Die Eltern sind zufrieden. Ihre Kindern tummeln sich froh im maßgeschneiderten Angebot. Die Älteren haben Auslauf, können die Hasen am Genick packen und mit anderen Kindern spielen. Und die VIBs von Trebesing, die very important babies, dürfen auch den heftigsten Bedürfnissen freien Lauf lassen, ohne daß es ihren Erziehungsberechtigten die Schamröte ins Gesicht treibt. Babygeschrei gehört zum guten Ton. Urlaub fürs und ums Kind, und ab und an auch für die Eltern: denn für Betreuung selbst der Allerkleinsten ist gesorgt.

„Urlaub in einem natürlich gewachsenen Dorf“, preist Siegfried Neuschietzer seine Idee, „als Problemlösung für eine Familie mit Kleinkindern bis zu acht Jahren“. Neuschietzers Erfolgsrezept ist, wie er selbst sagt: „Marketing aus dem Bauch und der Zusammenhalt im Dorf“. Seine „Problemlösung Babydorf“ zog Kreise. Inzwischen macht bis auf zwei „Unverbesserliche“ das ganze Dorf mit. Auch die anderen 24 Familienbetriebe stellten mit Gitterbettchen und Buddelkasten aufs Kind um. Das überwiegend protestantische Trebesing nutzt eine Marktlücke mit protestantischem Arbeitseifer. Die jugendliche Pastorin, Roswitha Petz, glaubt, daß der Babyboom „für das gesamte Dorf viel bringt“. Die Autobahn mitten durchs Dorf sei für die touristische Entwicklung äußerst hinderlich. Das Spezialprogramm Kind habe nun großes Echo ausgelöst. „Das ist sehr schön, weil die Leute angeregt werden, selber initiativ zu sein, und die Bauern ein ganz anderes Selbstwertgefühl kriegen.“

Neben dem Pfarrhaus liegt das Zwergennest. Diese ehemalige Dorfschule wurde zum Kinderhort umfunktioniert: Grimmsche Märchenmotive an den Wänden, knallbunte Farben und Vorhänge – alles von den hier arbeitenden Frauen liebevoll ausgesucht, selbstgeschneidert und bemalt. Ein Spielplatz mit Bergpanorama und Plastikburg läßt die Gastkinder ihre für einige Stunden flügge gewordenen Eltern leicht vergessen. Urlauberfamilien aus dem ganzen Dorf können im Zwergennest ihre Kleinen von null bis acht Jahre abgeben. Fünf Frauen arbeiten dort halbtags. Ihre eigenen Kinder bringen sie mit. „Bei uns gibt es sonst nicht viel zu tun“, erzählt die Betreuerin Mauren. Das Zwergennest

hat die Infrastruktur des Dorfes verbessert, Arbeitsplätze für einige Frauen und Kinderbetreuung auch fürs Dorf geschaffen. Die dörfliche Enge weitet sich. „Auch die einheimischen Kinder sind froh, wenn die Saison losgeht, fremde Kinder kommen und wieder ist was los“, erzählt Mauren. Der ständige Wechsel, die instabilen Gruppen sind für sie kein Problem. Sie machen Pädagogik aus dem Bauch — unkompliziert, unmittelbar und mit Spaß.

Bislang habe man die Gratwanderung zwischen Babykommerz und gewachsenen Strukturen ganz gut im Griff, meint die Pastorin Petz. „Ich hoffe nur, daß man sich nicht gänzlich ausverkauft, nur dem öden Mammon nachläuft. Es gibt Grenzen. Was wir jetzt anbieten, ist eigentlich genug.“

Wieviel Touristen verträgt ein kleines Dorf? Auf die 1.200 Einwohner kommen jährlich etwa 3.500 Familien, die ein bis zwei Wochen bleiben. Auch das Marketinggenie Neuschietzer betont: „Wir wollen keine Familienlegebatterien“. Neuschietzer vermarktet familiäre Dorfidylle. Die ist äußerst sensibel. Die tägliche Frühstückszeitung liegt neben dem Kaffeegedeck im Babyhotel. Der doppelseitige Windelexpress erfreut mit Sinnspruch zum Tag – „Am reichsten sind die Menschen, die auf das meiste verzichten können“ – und Vorschlägen zur täglichen Urlaubsgestaltung zwischen Modenlodenschau und Dampferfahrt am Millstättersee. Heute wird ein dörfliches Großereignis angekündigt: die Eröffnung der drei Kilometer langen Windelwandermeile oben am Berg.

Die Trachtenkapelle spielt, der Trachtenverein tanzt, der Bürgermeister spricht, selbst der Landeshauptmann lobt, katholischer Pfarrer und evangelische Pfarrerin segnen. Lokale Prominenz schreitet die Windelwandermeile im Sonntagsstaat und bei strahlendem Sonnenschein ab. Kindsgroße Tonzwerge grüßen am Wegesrand. Der Wanderweg ist durch Märchenstationen unterteilt, dort stehen Frau Holle, ein mannshoher Rübezahl oder der Gestiefelte Kater. Infantile Bergidylle. An Bänken sind Eisenbücher verankert, so daß die Ruhepause zur Märchenstunde verkürzt werden kann. Heute werden an den Stationen Sekt, Obstler und die kulinarischen Genüsse der Region gereicht. Endpunkt Baby City. Im Babysaloon gibt's Getränke, selbstgebackenes Brot und köstlichen Schinken. Draußen warten die Ponys zum kurzen Ausritt ins Indianerdorf. Und natürlich fehlt auch die Wickeloase nicht, wo die Kleinsten entsorgt werden.

„Ich dachte, das wäre wie bei uns im Heidepark“, gesteht eine enttäuschte Düsseldorferin. Ein anderer hatte sich von der Windelwandermeile mehr dreidimensionale Effekte, mehr künstliche Phantasiewelt, mehr Action erwartet. Ponyranch und ein lebensgroßer zweidimensionaler Rübezahl im Wald ist für attraktionenverwöhnte Urlauber doch sehr bescheiden. Auch wenn die echte Natur noch so gewaltig daherkommt. Weniger bescheiden ist der Eintrittspreis. Etwa 10 Mark pro Person, die Hälfte fürs Kind ab sechs. Nicht billig für einen schlichten Wanderweg mit ein bißchen Märchenkolorit, Rutschbahn, Klettergerüst und kindersicherer Wegabsperrung. „Bei uns geht's ums Kind. Aber das ist nichts Soziales. Wir wollen auch daran verdienen.“ Klare Worte des Hoteliers Siegfried Neuschietzer.

„Milupa“ prangt weithin sichtbar von dem großen Holzaufbau mit der aufregenden Drehwurmrutsche. Die Babynahrungsfirma vertreibt das Babydorf in ihren Prospekten für die junge Familie. Vertrieb der ersten Sahne. Nur eine Mutter sitzt an diesem Spätnachmittag auf der Caféterrasse des Babyhotels. Ihre auf dem Spielplatz turnenden Kinder hat sie von der Terrasse aus fest im Visier. Der Spielplatz ist fast leer. Kein Wunder. Die umworbenen Gäste sind zum Babycocktail in der Hotelbar Stoppel geladen. Tische vor den Tresen gestellt und das Oberteil der Babystühle draufgesetzt – fertig ist der Babybarhocker. Little Bar-Feeling mit rotem Johannisbeersaft und Salzstangen.

Schlichte Ideen, die greifen; verniedlichte Angebote, die jedes Zwergenherz höher schlagen lassen; süßer Kitsch, der kein Klischee ausläßt. Das Coming-out der Zwerge ist gekonnt inszeniert. Und wo Hänschen mal war, fährt Hans wieder hin. „Die Kinder werden sich gerne an Kärnten erinnern und auch später wiederkommen“, glaubt der Hanslbauer, der mit seinem Babybauernhof langjährige touristische Erfahrung hat. Recht hat er. Und auch ihre zufriedenen Eltern kommen sicher wieder. Die gehen dann vielleicht in ein anderes Dorf, beispielsweise zum Wandern auf die Rentnerwandermeile mit Blutdruckmeßstation und Ginseng-Extrakt im Opasaloon. Damit sie die Jüngeren nicht durch ihre Zipperlein schrecken, stören oder behindern. Es lebe die Differenz, die totale Segmentierung des Marktes. Und es lebe vor allem jede Zielgruppe für und unter sich, zur kompromißlosen Bedürfnisbefriedigung und absoluten Selbstverwirklichung: Einfalt statt Vielfalt —authentisch, autistisch und schön.

Information:

Tourismusverband Lieser-Maltatal, 9853 Gmünd, Österreich,

Tel.: 0043/4732/2222,

Telefax: 0043/4732/3978

Weiter Informationen über die insgesamt 80 „Kinderhotels Österreich“: Österreich-Werbung, Tauentzienstr. 16, 10789 Berlin oder bei der Österreich-Information,

Postfach 1231, 82019 Taufkirchen,

Tel: 089/666701000.

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