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■ Das PortraitSergej Schachrai

Moskau (taz) – Zweimal hatte Vizepremier Sergej Schachrai in den vergangenen zwei Wochen versucht, seinen Rücktritt einzureichen. Zweimal lehnte Boris Jelzin ab. Dabei hatte der Präsident seinen ehemals engen Berater am 19. Mai selbst von dessen zweiten Amt als Nationalitätenminister entbunden. Mit persönlicher Kränkung habe sein Rücktritt nichts zu tun, erklärte Schachrai daraufhin. Und der Opposition wolle er sich auch nicht anschließen. Vielmehr gehe es darum, daß er über die Ernennung seines Nachfolgers nicht informiert worden sei. Der 38jährige Shooting-Star Schachrai erarbeitete in Jelzins Auftrag die ersten Entwürfe einer neuen russischen Verfassung aus. Danach ging er als Troubleshooter in die kaukasische Krisenrepublik Tschetschenien. Gegenüber dem dortigen Landesherrn Dudajew fuhr er eine harte, aber offiziell als ergebnislos bewertete Linie. Wladimir Schumeiko, der Vorsitzende des Oberhauses der Duma, verlangte gar, Jelzin selbst solle nun verhandeln.

Pikant: Schachrais Nachfolger Nikolai Jegorow ist ein Protegé Schumeikos. Auch in der Administration Jelzins war der selbstherrliche Minister nie beliebt. Schon im letzten Herbst war er auf Distanz zu Jelzin gegangen und hatte eine eigene Präsidentschaftskandidatur angekündigt. Seither versuchte Schachrai, sich als Vertreter einer zentristischen Politik zu profilieren. Er gründete die „Partei der Eintracht und Verständigung“, mit der er im Dezember den Sprung ins Parlament schaffte. Als Krisenmanager hatte er die Chance genutzt, unter den lokalen Chefs der Verwaltungen eine Hausmacht aufzubauen. Seine Partei machte sich offen zum Anwalt der Regionen gegenüber dem Zentrum. Die Emanzipation der russischen Provinz, so strategisch wichtig sie für Rußland ist, war dabei nicht ihr ausschließliches Anliegen. Darin liegt wohl auch der wahre Grund der Entlassung Schachrais als Nationalitätenminister. Jelzins Berater hatten wohl gewarnt, Schachrai könne bei für 1996 angesetzten Wahlen im Wählerpotential des Präsidenten fischen. Vorangegangen war die Entlassung einiger Parteigänger Schachrais. Jegorow wird nachgesagt, im südrussischen Gebiet Krasnojar, das an den stürmischen Nordkaukasus grenzt, für eine gewisse Beruhigung gesorgt zu haben. Allerdings durch eine fragwürdige Haltung: Im blutigen Konflikt mit Georgien unterstützte er die rebellische Republik Abchasien. Klaus-Helge Donath

Russischer Vizepremier wider Willen Foto: dpa

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